18. Mai 2015 In meinen
Kindertagen waren das klingende Namen. Platscher Perle. Und Ehrenhausen.
Wenn wir Proleten an "Die Tassen hoch!" dachten, war dieser leicht
süßliche Schaumwein keine schlechte Wahl.
Gestandene Männer leerten in jenen Zeiten nach und nach
eine Flasche Scotch mit dem markanten Namen Vat 69 und Mutter machte
später daraus eine Lampe, deren Schirm mit Etiketten von anderen Gesöffen beklebt wurde.
Aus den Pfeifen duftetet Revelation ("It's
Mild and Mellow"), dafür verströmte das rasierte Kinn einen Hauch von Tabac
Original. Diese Düfte meide ich, denn ich wollte nie sein wie mein Vater. Beim Whiskey
neige ich zum Bourbon und beim Wein bin ich definitiv anspruchsvoller als er es
war.
Aber als ich kürzlich in einem Regal dieses Etikett
erblickte, das im Stil vergangener Zeiten gehalten ist, konnte ich nicht widerstehen. Die
Flasche Platscher Perle erinnert über eine zusätzliche Banderole an die
Weltaussstellungen in Brüssel (1958), New York (1964) und Montreal (1967). Ein
ergänzendes Textchen verspricht die richtige Wahl für "prickelnde Abende und
taufrische Morgen". Was für ein Konzept!
Das mußte eines Abends sein. Dazu paßt vorzüglich, daß
ich den Tag davor in einem LKW aus dem Jahre 1968 gehockt hatte. Eine laute Bestie, die
nur gemächlich vorankommt, was mir zu denken gibt, da wir vorhaben, mit dieser Fuhre nach
Beograd aufzubrechen.
HEIMO MÜLLER
Fahrer Heimo Müller bemerkte trocken: "Ist
eben kein Spielzeug". Wie wahr! Wir hatten diesmal bloß eine Kurzstrecke in
Arbeit und landeten in der Werkstatt von Roman Hold. Es war die erste Station auf dem Weg,
eine Serie von Features zu erarbeiten, in denen wir der Frage nachgehen, was denn "Die
Ehre des Handwerks" sei: "Es hat begonnen" [link]
Dazu entstehen auch Videos, derzeit aber ist
die Sache textlastig. Zum Ausklang der Session haben wir uns noch in einen der Hot Rods
geschlichtet und sind Richtung Zitroneneis losgezogen.
Ein großvolumiges V8-Triebwerk gehört zu den
maßgeblichen Klangkörpern unserer Generation. Es ist der Ford V8 Flathead, mit
dem dieses Stück Kulturgeschichte 1932 begann. Folglich wurden auch Ford Coupé
und Roadster von 1932 Leitikonen der Hot Rod-Szene
So viel zur Orientierung für Irritierte. Es ist ja
allerhand Leuten überhaupt nicht klar, warum ich dieses Feld der Kreativität,
Selbstinszenierung und weitreichenden Geselligkeit zu einem Genre der Volkskultur
erklärt habe. Keine Erfindung von mir, sondern das volkskundlich korrekte Zuordnen dieses
Gebietes.
Es ist also 1932 ein Schlüsseljahr für das Hotrodding.
Und 1949 lieferte Oldsmobile mit dem damals neuen, hochverdichtenden "Rocket-Motor"
den Grundstein für die Muscle Car-Szene. Amerika hatte also knapp nach dem
Zweiten Weltkrieg ein etabliertes Feld verschiedener Subkulturen, in denen modifizierte
Fahrzeuge die zentralen Medien und Fetische sind.
In Übersee gab es dafür schon elaborierte Codes, Rituale,
Feste und Musiken, die diesen Szenen entsprangen, da konnte man in Europa erst nach und
nach beginnen, die Halden und Garagen nach billigen Gebrauchtfahrzeugen abzusuchen.
ROMAN HOLD
Sie waren die Basis des Modifizierens und des Frisierens.
So konnten junge Leute mit wenig Geld, aber handwerklichem Geschick, für
individualistische und spektakuläre Auftritte sorgen. Während viele junge Leute bei uns
noch auf Mopeds ("Schlurfraketen") angewiesen blieben, kamen in den 1960ern und
1970ern langsam gediegene Choppers, Custom Cars und Hot Rods
zum Vorschein.
Neben allerhand Handgestricktem von ambitionierten Bastlern
kristallisierten sich vereinzelt auch Professionals heraus, die das Customizing
in Technik und Gestaltung auf hohes Niveau brachten. Musik und Mode blühten flott in
diesem Umfeld, Tattoos und Piercings brauchten merklich länger, um es in den biederen
Alltag der Mehrheit zu schaffen.
Als Gleisdorf 2007 seine erste Tattoo Convention hatte,
gehörte Roman Hold schon zu den etablierten Kräften dieser Szene. Die Stadtverwaltung
zeigte keinerlei Ressentiments gegen dieses Milieu, kam dem bunten Volk sehr entgegen.
1949er OLDSMOBILE
Sie haben natürlich recht, falls Sie annehmen, man müsse
all das im Detail nicht wissen. Aber es gibt Momente, da nützt es bei der Orientierung,
wenn sich jemand in der Region umsieht und kuriose Details entdeckt, deren Existenz
einigen Menschen viel Arbeit, Geld und Hingabe abverlangt.
Man muß nicht wissen, wofür dieser Moment steht, wenn ein
1949er Olds Rocket im Gleisdorfer GEZ Station macht, wie erwähnt, die
Mutter aller Muscle Cars. Aber wir müssen das wissen, wenigstens
skizzenhaft, um im Blick auf das 20. Jahrhundert manche Dinge richtig einordnen zu
können.
Es ist eine so radikale und komplexe Epoche, in der viele
Aspekte und Disziplinen zusammengedacht werden sollten, um auch nur halbwegs zu kapieren,
was innerhalb unserer Biographien sowie knapp davor geschehen ist.
-- [Die Ehre des Handwerks] [Generaldokumentation] -- |