23. April 2015

Der banale Satz „Ich kann das auch“, von Hand geschrieben, bezieht sich auf eine populäre Praxis im Abschütteln der Kunst und ihrer Zusammenhänge. (Künstler Selman Trtovac lieferte die Vorlage.)

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Wir Menschen sind mit der Fähigkeit zu verstehen ausgestattet, was nichtsprachliches Verstehen einschließt. Ich habe bei einem Ethnologen kürzlich diese feine Überlegung gefunden: „Es gibt keine neutrale Zone zwischen Seele und Welt.“

Das bedeutet auch, wir sind zu einem unvoreingenommenen Sehen gar nicht in der Lage. Alle unsere Erfahrungen und die Schlüsse, zu denen sie uns bringen, prägen den Blick.

Morgen wird das „Aprilfestival“ eröffnet; zum ersten Mal, seit es sich ereignet, nicht mehr in der Verantwortung von Kunst Ost, sondern von Fokus Freiberg realisiert. Dabei ordnen sich wieder höchst unterschiedliche Ausdrucksformen in komplementärem Arrangement.

Damit meine ich, daß ein kontrastreicher Bogen entsteht, der Voluntary Arts und Gegenwartskunst gleichermaßen aufgreift, der Kunstpraxis und Handwerk auf eine gemeinsame Bühne bringt; und wie stets auch: Selbstrepräsentation.

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Ich hab meine „Wunderkammer“, als eine Vorform von geordneter Sammlung und Museum, wesentlich dem Blick auf das 20. Jahrhundert gewidmet. Wer immer sich bei der Durchsicht jener Artefakte zur Vorstellung hinreißen läßt: „Ich kann das auch“, möge sich im „Amt für allgemeines Können“ zu mir an den Tisch setzen und diese Selbsteinschätzung überprüfen.

Ich habe in jüngster Vergangenheit wieder ein paar erstaunliche Exempel für die populäre Abschätzigkeit gegenüber der Wissensarbeit erlebt. Also besteht offenbar Klärungsbedarf, welchen Stellenwert Wissenserwerb in unserer Gesellschaft derzeit hat.

Ich setzte unter Kulturschaffenden als einigermaßen bekannt voraus, daß wir den Dingen, die uns umgeben, Symbolwert und Gebrauchswert zuschreiben. Manchmal schließt eines das andere für Momente oder generell aus. Manchmal wechseln die Zuschreibungen.

In der Kunstpraxis ist es meine unspektakuläre Aufgabe, solche Zuschreibungen vorzunehmen. Stößt Publikum auf Objekte und Artefakte, die ich in so einem Sinn angeordnet habe, tun die Leute natürlich nichts anderes. Sie identifizieren die Dinge ihrem Sinn gemäß nach wenigstens diesen zwei Möglichkeiten.

Wenn ich in meiner „Wunderkammer“ etwa ein Standardwerk der Nazi-Ära über angebliche Weltverschwörungen auflege, so hat die zweibändige Publikation beide Optionen, Symbolwert und Gebrauchswert, denn sie ist symbolisch in mein „begehbares Bilderrätsel“ eingefügt, als ein Teil meiner Arbeit, bleibt aber zugleich, Buch für Buch, genau das, eine Publikation, die gelesen werden kann, wie es jemandem beliebt.

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Ein kleiner Themensprung. In der Publikationsreihe „Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie“ lassen sich aus Dieter Kramers Beitrag „Europäische Ethnologie und Kulturwissenschaften“ eine Reihe von Anregungen beziehen, auch einige Fragestellungen, die in der Orientierung bei einer Wissens- und Kulturarbeit in der Region hilfreich sind.

Kramer fragt etwa: „Welche Beziehungen stellen sich zwischen verschiedenen Milieus her und wie einflußreich sind sie?“

Eine andere Frage verbindet uns über verschiedene Genre-Grenzen hinweg: „Was ist Qualität innerhalb der jeweiligen Milieus und was ist sie übergreifend über die Grenzen der Milieus hinaus?“

Das ist übrigens eine ganz zentrale Frage, die in diesem bisherigen 2015er Jahr beim Kulturpakt Gleisdorf rigoros abgeschafft wurde; was uns inzwischen trennt. Statt den Fragen nach milieubezogenen Qualitäten und nach dem Sinn ihrer Anwendung, auch im Überschreiten von Genre-Grenzen, hat eine Interessensgruppe innerhalb des Kulturpaktes das Ereignis selbst über derlei Kriterien gestellt.

Das Event als Grund für ein Event? Sollte davon nicht mehr bleiben, wäre das ein Wechsel ins Lager der Unterhaltungsindustrie.

Kramer zitiert an einer Stelle Jean Cocteau: „Die Poesie ist unentbehrlich -- wenn ich nur wüßte, wozu“. Bevor wir uns also aufraffen, Events zu planen und zu realisieren, sollten wir uns solchen Fragen wenigstens ab und zu gewidmet haben.

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Wenn wir uns diesen Dingen widmen verlassen wir das Feld unserer Alltagsbewältigung und befassen uns mit grundlegenderen Angelegenheiten. Es geht um eine individuelle Interpretation und Aneignung der Welt und daß wir uns darüber austauschen.

Sie können übrigens in der „Wunderkammer“ eine amtliche Einrichtung nutzen und sich dort in der Abteilung für amtliche Amtlichkeit mit verfügbaren Stempeln selbst bestätigen, was immer Sie für wünschenswerte Kompetenzen halten. Siehe dazu auch: „Selbstbestätigung“ [link]

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