26. März 2015

Rauch. Die Kunst. Und die menschliche Fähigkeit zur Hingabe. Davon klingt Mike Leigh's opulenter Film über den Maler William Turner: [link]

Der Brite Turner ist schon als Vierzehnjähriger mit seinen Talenten aufgefallen. Ein Kind des 18. Jahrhunderts, war er, was ihn für mich auf spezielle Art interessant macht, in jene Zeit geboren, da die Kraft von Dampfmaschinen ihre Rauchzeichen bald an den Horizont setzte.

log2088a.jpg (15760 Byte)

Als Turner 1851 starb, griff die industrielle Revolution gerade mit aufkommender Wucht. 1829 hatten Vater und Sohn Stephenson das bedeutende Rennen von Rainhill mit ihrer Lokomotive Rocket für sich entschieden.

Turner war von Licht und Wasser bewegt, aber auch von den Helden und Opfern der Seefahrt, von geschundenen Sklaven und zerrütteten Seeleuten. Leigh hat hinreißende Dialoge geschrieben. Schon zu Beginn des Films war ich gefesselt, als der Vater von Turner, ein vormaliger Barbier, in einem Geschäft Farben kauft:

Turner: "Was ist ihr Preis für eine Blase Ultramarin?"
Kaufmann: "Mein Preis ist der beste Preis."
T.: "Und wie hoch mag er wohl sein?"
K.: "Ultramarin kommt von sehr weit her. Aus Afghanistan. Was brauchen sie noch?"

Eine anderer Sequenz zeigt den Maler Turner in Gesellschaft, bei der Betrachtung einer flämischen Darstellung des Heiligen Sebastian. In der kleinen Konversation sagt er: "Nun, keine gute Tat bleibt unbestraft."

log2088b.jpg (28252 Byte)

Was uns Leigh zeigt, als der alte Turner stirbt, während sein Sohn neben dem Bett sitzt, gehört zum Berührendsten, was ich über solche Momente je in Filmen gesehen habe. Da verblaßt gerade meine Erinnerung an das Sterben von Roy Batty, dem Androiden in Ridley Scott's "Blade Runner" [link]

Wie merkwürdig, daß genau dieses Motiv ein Schnittpunkt der beiden Filme ist, sie verknüpft, da sie mir in unserer aktuellen Themenstellung wichtig sind. Der Mensch, der Tod, einmal in der erst heraufdämmernden Dampfmaschinen-Moderne, einmal nach der Digitalen Revolution.

Einmal der sterbende Vater Turner, einmal der sterbende Replikant. Einmal der Rauch von Dampfschiffen, einmal der Rauch des verkommenen Los Angeles von 2019.

log2088c.jpg (32605 Byte)

William Turner: Brennendes Schiff. Um 1830.
Wasserfarbe, 49 x 34 cm. Tate Gallery, London.

Was hier vielleicht noch nicht offensichtlich ist, sollte sich über einen Verweis auf Peter Rosegger deutlich machen lassen.

Rosegger hat mit seiner Schilderung "Als ich das erstemal auf dem Dampfwagen saß" eine für den deutschsprachigen Raum ganz typische Annäherung an die neue Technologie Eisenbahn geboten. Er läßt seinen Paten, den Knierutscher Jochem – er ruhe in Frieden, die Maschine für Teufelswerk halten:

»Behüt' uns der Herr,« rief der Jochem, »daß wir das Teufelszeug anschau'n! 's ist alles Blendwerk, 's ist alles nicht wahr.« [Quelle]

Es war eine Zeit, da die Menschen unter anderem über derartige Erzählungen erst an die neue Technologie gewöhnt werden mußten, erst lernten, sie als etwas Normales zu empfinden. So ging es unseren Leuten mit der "Initial-Maschinerie" der Industriemoderne. So geht es uns selbst nun mit den abstrakten Maschinen der Digitalen Revolution.

Warum abstrakt? Generell läßt sich sagen, daß man den konkreten Maschinen der vorigen industriellen Revolution ihre Funktion ansehen konnte, Form und Bauart machen meist deutlich, was das Ding tut.

Digital programmierte Maschinen der jüngsten industriellen Revolution machen es uns da beim bloßen Augenschein nicht so leicht. Da ist ein Thema, an dem ich mit Ewald Ulrich von Fokus Freiberg derzeit arbeite.

Wir werden, wenn alles gut geht, beim Kunstsymposion im kommenden Herbst zeigen, was diese Arbeit so an Ergebnissen möglich macht. Kein Zufall, daß dieses Symposion "The Track: Pop | Ikarus" heißt. (Was uns zu Ikariern macht, habe ich hier schon erläutert.)

P.S.:
Ob Mike Leigh, als er Vater und Sohn Turner entwarf, sich als ein Verehrer von Bouvard und Pécuchet erkennen ließ?

-- [Gleisdorfer Kunstsymposion] --

[kontakt] [reset] [krusche]
13•15