28. Februar 2015 Pop. Ich hab nun über einige Jahrzehnte an einem Lauf der
Dinge teilgenommen, bei dem der Kunst eine spezielle Weihefunktion unterstellt wurde. Das
geschah hauptsächlich durch ein Raunen, Flüstern, ein Rascheln von Gewändern, begleitet
von ernsten Blicken.
Ich habe dabei mehrfach erlebt, daß selbst
Menschen, die über Jahre auf soliden Bildungswegen ermüdet sind, Josef Beuys dummdreist
unterstellt haben, er hätte behauptet, jeder Mensch sei ein Künstler. Lauscht man
dagegen Beuys, so entdeckt man, daß er der Ansicht war, jeder Mensch könne ein
Künstler sein. (Das macht doch einen feinen Unterschied.)
Es beuyselt also oft, wenn die
Nachfahren von Untertanten, Kleinhäuslern, Keuschlern zusammenkommen, um zu feiern, daß
sie den erbärmlichen Verhältnissen ihrer Vorfahren entronnen sind.
So wird zusammengerückt, denn es ist kalt
geworden und wir spüren, daß etliche von uns wieder dahin abrutschen könnten, wo unsere
Leute einst aufbrachen, um dem ständigen Mangel und der gelegentlichen Not zu entkommen.
Ich bin eine dieser vormaligen Rotznasen, in
den 1960er-Jahren aufgewachsen, also zweierlei: Ein Kind des Kalten Krieges und
ein Kind der Popkultur. Sozialbau. Siebter Stock: [link]
Handwerker, Säufer, Huren,
Mittelschullehrerinnen und angehende Ärztinnen, ein muskulöser Bäcker, ein
parfümierter Strizzi, Hutschenschleuderer und jede Menge unruhiger Kinder, von denen die
älteren Buben das vertieften, was meine Leute für einen adäquaten Modus hielten, wenn
in einem Kind der Geist zu umtriebig und laut wurde: Sie zerrten mich in den Keller und
verprügelten mich.
Später war es nicht einmal mehr der Keller.
Man konnte Wehrlose ganz ohne Scheu unter den Augen anderer Leute vermöbeln. Solche Dinge
endeten damals erst, wenn man sich selbst ermächtigte, nachdem man sich ertüchtigt
hatte, um jemandem die Fresse einzuschlagen.
Das also waren die 1960er, die Zeit, in der Pop
wurde. Welche Ironie, daß ich das Haus auf dem genannten Keller, samt dem Fenster zu
jenem Zimmer, das ich damals mit meinem Bruder teilte, in einem stolz gefaßten Buch
wiederfand: "Steirische Bewährung 1955, 1965" (Zehn Jahre Aufbau und
Freiheit).
Eine Publikation der Steiermärkischen
Landesregierung, Stand vom März 1965. Auf Seite 23 wurde Goethe zitiert: "Nach
seinem Sinne leben, ist gemein. Der Edle strebt nach Ordnung und Gesetz." Ein
häufig strapaziertes Zitat, da wir mehr als gründlich erfahren haben, daß ohne
Rechtssicherheit das Faustrecht regiert.
Wie eben angedeutet, das Faustrecht war damals
natürlich nicht verläßlich gebannt, sondern einfach ins Private verlagert. Es gab
folgerichtig eine klare Auffassung, von beiden meiner Eltern vertreten, daß da Dinge
seien, die haben "in unseren vier Wänden" zu bleiben, die gingen
niemanden sonst etwas an. (Mein Leib erinnert sich.)
Nun ist hier aber mein eigentliches Thema, ich
habe es schon angedeutet, Pop. Ein Phänomen, das in den 1960er-Jahren zu einem
großen Ereignis wurde, seine Vorbedingungen laut Diedrich Diedrichsen in den 1950ern
deutlich gezeigt hatte.
Allgemeine Automobil-Zeitung, März
1934
Von Diedrichsen stammt die Formulierung "das
deutsche Pop-Phänomen Faschismus". In dieser Zuschreibung sind wir uns völlig
einig. Für mich beginnt das alles 1934, als das Motiv "Stromlinie" aus
dem Bereich technischer Implikationen in die Welt der Massenkultur transferiert wurde.
Es war das Jahr, als die Auto Union
und Mercedes-Benz begannen, das Motiv "Silberpfeil" in die
Welt zu tragen. Daher meine etwas polemische Überzeugung: Der Beginn des Pop ist
in unserer Gegend: Faschismus + Stromlinie.
In Amerika hatte das eine grundlegend andere
Genese, weil die Rahmenbedingungen ganz andere waren. Umberto Eco meinte in einem
Gespräch über die Schönheit des Vulgären anno 1974, daß für Amerikaner die "Konsumgesellschaft
etwa den gleichen Wert" habe, "wie für uns die Bäume, die Flüsse,
die Wiesen und die Kühe". (Kühe! Warhol! Superpastoral!)
Eco war der Auffassung, wir Europäer seien "nicht
in der Lage, die Konsumgesellschaft gleichzeitig zu lieben und zu kritisieren".
Ich finde im Rückblick wesentlich drei Begriffe vor, die nicht das Selbe bezeichnen: Massenkultur,
Popkultur und Pop Art.
Der neue Mercedes Rennwagen von 1934
(Allgemeine Automobil-Zeitung)
Sie verstehen vielleicht, ich kann mich in der
Auseinandersetzung mit dieser Ära nicht auf gängiges "Beuyseln"
einlassen. Das hat auch seine verfeinerten Varianten in der gegenwärtigen
Spießer-Kultur. So geisterte eben ein Video über diverse Facebook-Leisten, das
IS-Leute zeigt, die mit schweren Hämmern einzigartige Kunstschätze zerschlagen: "Islamic
State fighters smash historic statues in Iraq".
Sie ahnen vielleicht, ich bin verlockt, diesen
"Vandalenakt" als zeitgemäßen Ausdruck von Popkultur zu deuten. Wir
kennen das übrigens, denn was haben die Nazi etwa mit "entarteter Kunst"
gemacht? (Sie haben sie teuer ins Ausland verkauft oder zerstört.)
Was war nun aktuell unter dem genannten Video
alles zu lesen? Zum Beispiel "ich hab geschrien, als ich das gesehen hab in den
nachrichten, mir sind die tränen gekommen..." (Eine unübertreffliche
Bildungsbürgerpose!) Oder: "Diese Urzeitmenschen haben leider keine Ahnung was
sie mit dieser Zerstörungswut anrichten!!!" Oder: "warum kann man die
nicht einfach flächendeckend wegbomben?"
In der Spießerkultur wird gelitten; am Übel
der Welt gelitten, vor dem man sich zuhause verkriecht und dort beklagt, daß niemand was
tut: "und die welt sieht zu". Aber wer ist denn das, "die
welt"? Und kennen wir nicht etwa die Erfahrungen beherzter Menschen aus dem
Spanischen Bürgerkrieg, wo internationale Brigaden sich aus allen Teilen der Welt dem
Faschismus entgegenwarfen?
Ich werde mir keine Flinte kaufen und gegen
die IS auf die Reise gehen. Wir haben offenbar zuhause gut zu tun, unsere Leute zu
begleiten, wenn sie beispielsweise derart obszöne Gewaltphantasien publizieren wie "flächendeckend
wegbomben". Und wir haben an einer manierierten Spießerkultur zu arbeiten, wo
geschrien und geweint wird, falls einen in der Komfortzone unerfreuliche Nachrichten
erreichen.
Übrigens, eine Kleinigkeit zum Trost jener,
die das Versinken ferner Kulturschätze beweinen; ein trost für jene, die ich aber hier,
zuhause, nie antreffe, wenn für die Aufwertung der Wissensarbeit und Kunstpraxis zu
kämpfen wäre. Die Plastik der Griechischen Antike prägt bis heute unsere Vorstellungen,
was schön sei. Ihr Einfluß auf unsere Weltsicht ist fundamental.
Aber was ist davon greifbar erhalten
geblieben? Fast nichts. Hauptsächlich ein paar Kopien und ein einige antike Texte, in
denen sie Erwähnung findet. Kultur gibt uns also weit größere Möglichkeiten als bloß
an Artefakten festzuhalten. Wer sich die Krokodilstränen aus den Augen wischen möchte,
könnte das vielleicht entdecken.
-- [The Track: Pop] --
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