12. Dezember 2014 Ich
bin ein "Putin-Versteher" und auf jeden Fall auch ein "Israel-Versteher",
gelegentlich ein "Frauen-Versteher". Ich habe mit Sicherheit keine
freundlichen Gefühle für Menschen, die das Verstehen auf solche Art der
Zuschreibung vorzugsweise in einen abwertenden Kontext bringen.
Außerdem möchte ich die Freiheit, zu verstehen was mir
einsehbar ist, ohne dafür von anderer Seite herabgewürdigt zu werden. Man darf mir
gelegemtlich für Dissens danken, denn das ist doch oft anregender, nützlicher, als
ausdauernde Zustimmung.
Das Verstehen ist, wo es gelingt, ein Ergebnis von
wunderbaren Anstrengungen. Ich weiß schon, wie das kommt, daß Verstehen ein
Ausdruck von Abschätzigkeit werden kann, wie auch der gute Mensch sich allenfalls zum "Gutmenschen"
entstellen lassen muß.Was für eine Zumutung!
Solche rhetorischen Faustschläge kommen gewöhnlich, wenn
man einem Gegenüber anderslautende Auffassungen nicht zubilligen möchte, wenn man
Meinungsverschiedenheiten über Definitionsmacht einebnen will.
Diese Arten des Grobseins verraten mit mindestens, daß
jemand in den eigenen Ansichten sehr wahrscheinlich unsicher dasteht. Ich bleibe bei einem
Beispiel, dem "Putin-Verstehen". Natürlich verstehe ich, was hier zu
geschehen scheint. Die Kurzfassung: Putin tut das Mögliche um die Ukraine zu
destabilisieren, damit deren Europa-Kurs ins Schwanken kommt.
Voila! Hat geklappt. Warum er das tut? Zu allererst, weil
er es kann, und zweitens, weil es ihm offenbar für die momentane Entwicklung der
Kräftespiele in Europa vorteilhaft erscheint. Dabei wurde offensichtlich Völkerrecht
gebrochen und eine Unruhe in komplexe Verhältnisse gebracht, wo uns allen wachsende
Stabilität zu wünschen wäre.
Wie sehr empört uns nun, daß Putin beunruhigende Dinge
tut, weil er es eben tun kann, wie ja auch Obama sich in dieses Fach längst eingereiht
hat, worin sein Vorgänger Bush so herausragend war: Anfechtbares tun, weil er es tun
kann.
Nein, es ist nicht so, daß ich die beiden Seiten in
Beziehung setzte, weil ich Putin verstünde und etwas daran relativieren wollte. Das
hätte zwar eine gute Tradition, wie etwa in meinen Jugendtagen gerne Stalin erwähnt
wurde, wenn über Hitler zu sprechen gewesen wäre.
Ich ziele auf ein ganz anderes Thema. Mich interessieren
die Mängel europäischer Sicherheitspolitik, die unter anderem darin begründet
scheinen, daß es uns allen noch viel zu schwer fällt, über die Ideologien des
Nationalismus hinauszukommen.
Wir wollen einander lieber nicht erzählen, daß
Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg vor allem ein Protektorat Amerikas ist, wie auch
die Bundesrepublik Deutschland. Wir sind seit damals hauptsächlich Sicherheitskonsumenten.
Damit meine ich, daß mindestens meine Generation eine
Sicherheit konsumieren und genießen durfte, für die sie selbst nicht eingestanden ist.
Schon gar nicht wir Menschen eines neutralen Österreichs, welches nur befugt war, das
eigene Land für Notfälle halbwegs abzusichern, Notfälle, die wir uns lieber nicht
genauer ausmalen wollen.
Ich denke, ich war gerade so um die zwanzig Jahre alt, als
ich mir ein Buch kaufte, das in solchen Fragen Klarheit versprach. Es enthielt die "Spannocchi-Doktrin".
Ich mußte eben nachsehen, wie das Buch geheißen hat: "Verteidigung ohne
Schlacht" von Armeekommandant Eml Spannocchi.
Österreich ist heute weniger denn je gerüstet. Vielleicht
die gute Nachricht. Aber bevor ich Putin etwa via Facebook etwas zuzurufen hätte
und bevor mir wieder erregte Demoisellen mit selbstgstrickten Mützen auf dem Kopf vom
Erzherzog Johann-Brunnen in Graz her ihre Ansichten mitteilen, würde ich mich gerne
angeregt darüber unterhalten, was wir uns unter europäischer Sicherheitspolitik
vorstellen könnten und wie wir allenfalls den Preis dafür aufbringen könnten.
Es sollte uns aufgefallen sein, daß die USA ihre
diesbezügliche Rolle seit dem Fall des Eisernen Vorhangs markant geändert hat. Es
könnte uns auffallen, daß wir einen merkwürdig lebhafter Appendix des riesigen
eurasischen Kontinents bewohnen, der in absehbarer Zeit sicher noch stärker gebeutelt
werden wird.
Es ist zumindest einigen Leuten in meiner Umgebung
gedämmert, daß es auf Völkerrechtsverletzungen durch Rußland keine militärische
Sanktion geben darf. Ich kann nur und ausschließlich politische Lösungsansätze finden,
die mir einleuchten. Höre ich einschlägig erfahrenen Leuten zu, besagt das:
Verhandlungen. Akzeptable Ergebnisse werden kaum unter einem Jahrzehnt erwartet.
Fragt man Diplomaten von Rang, erfährt man ungefähr das:
Man geht in Verhandlungen. Ist kein Ergebnis möglich, geht man in die nächsten
Verhandlungen. Woher wir das wissen? Das Ende der DDR und die Wiedervereinigung
Deutschlands ist ein markantes Beispiel. Dieser Umbruch gelang ohne Blutbad, ohne in
Marsch gesetzte Armeen.
Das, so wird mir glaubhaft versichert, hatte unter anderem
ein langjähriges diplomatisches Vorspiel, auch reichlich Geheimdiplomatie verlangt. Wir
wissen überdies, was möglich wird, wenn Europa auf solche Optionen verzichtet. Oder was
was das mit dem Untergang Jugoslawiens? Und auf welche Arten bewährte sich europäische
Sicherheitspolitik in diesem Zusammenhang?
Die Menschen rund um Prijedor oder Srebrenica werden es uns
erklären, falls wir es nicht mehr wissen. Ohne amerikanische Bomber haben wir auf dem
eigenen Kontinent in der Sache nichts auf die Reihe gebracht. Das Kosovo ein Protektorat,
keinesfalls ein souveräner Staat auf der Höhe der Zeit. Montenegro, was für ein Witz.
Muß ich weitermachen?
Ich verstehe Putin. Es scheint mir in wesentlichen Punkten
einigermaßen klar, was dieses Regime mit Blick auf Europa bewegt. (Mit dem Thema Israel
möchte ich hier augenblicklich gar nicht erst beginnen.) Aber ich verstehe dieses mein
Europa momentan nicht so recht, das sich über weite Strecken mit den möglichen Wohltaten
von Kleinstaaterei vergnügt, die Nachteile der aufgefrischten Nationalismen aber offenbar
lieber im Dunkeln läßt.
Demnach habe ich Putin nichts zuzurufen und werde mir auch
keine bunte Strickmütze über den Kopf ziehen. Ich hab darüber nachzudenken, was dieses
westliche Europa sein möchte, wie wir es darin mit unseren südöstlichen Nachbarn halten
und was uns, dieses kleine, lebhafte Anhängsel des eurasischen Riesen, gegenüber diesen
großräumiger auffindbaren Nachbarn ausmachen möge. Darin ist mir noch viel zu vieles
höchst unklar. |