10. Dezember 2014 Schreiben
ist für mich Reflexionstätigkeit. Schreiben ist daher eine Art Nebenschauplatz meines
Denkens. Ist das Schreiben Arbeit, da ich auch mein Brot damit verdiene, wenn ich
in meiner Freizeit schreibe?
Ich kenne kein Leben, das in Arbeitszeit und Freizeit
getrennt, dementsprechend strukturiert wäre. Das sind Kategorien von Dienstnehmern. Deren
Strukturen sind zumindest auf dem freien Markt davon abhängig, daß einzelne Personen
ihrerseits auf so eine Strukturierung weitgehend verzichten. Oder was meinen Sie, wer den
Angestellten in Klein- und Mittelbetriebe wie einen Job gibt?
Ich gehöre einem dominanten Bereich der KMU an,
führe ein EPU-Leben. EPU ist das "Einpersonen-Unternehmen",
eine Form der Geschäftstätigkeit, die über 60 von 100 Prozent österreichischer
Betriebe ausmacht.
Als Kunstschaffender, der sich nicht in die Gunst eines
Fürsten begibt, der sich nicht höflichst in den Salons arrivierter Unternehmerschaft
aufhält, bin ich genau das: Ein Unternehmer. Ich trage das ganze Risiko meines
Unternehmens, bin höchst abhängig von der Paktfähigkeit all meiner
Kooperationspartnerinnen und -partner, kann von einem einzigen unseriösen Menschen für
Jahre in Schwierigkeiten gestoßen werden, falls mir der ein Geschäft versenkt.
Da unterscheidet sich mein Geschäft in keinem Punkt von
jenem eines Tischlers, Bauschlossers oder Dachdeckers. Ich hab mir solche Geschichten
erzählen lassen. Du erledigst einen Auftrag, hast Material gekauft, zusätzliche Leute an
Bord geholt, hast geliefert, dann zahlt der nicht.
Ein einziger fauler Kunde kann ein kleines Unternehmen
gegen die Wand fahren. Mein Geschäft wurde schon gegen die Wand gefahren, das erleben
alle, die eine Weile im Geschäft sind. Ich hab auch selbst schon ab und zu mein
Wohlergehen abgefackelt. Das sind meist harte Lektionen, denn -- wie angedeutet -- ein
fundamentaler Fehler im Geschäft kann zur Folge haben, daß man für die Konsequenzen
mehrere Jahre lang zahlt.
GÜNTHER MARCHNER
Als freischaffender Künstler konnte ich mich leider selten
unter meinen Leuten orientieren, wie man die Geschäfte solide entwickelt und worauf man
aufpassen muß. Meine Leute reden darüber nicht. Es herrscht Omerta. Ein
Schweigegebot.
Weshalb? Die Mythenpflege steht einer rigorosen
kulturpolitschen Positionsentwicklung entgegen. Viele von uns ziehen eine klischeehafte
Verbrämung des Künstlerdaseins jedem Verismo vor. Das hat einen Mangel an
stabilen Strukturen zur Folge, denn wenn wir ein Metier, ein Berufsfeld,
inhaltlich nicht auf klare Fundamente stellen, muß alles, was wir darauf bauen, labil
bleiben.
Mindestens im Sinne von Wissensarbeit hätten wir
uns den ökonomischen und politischen Konsequenzen einer nun schon jahrelangen Abwertung
der Wissensarbeit zu stellen. So ist etwa die Unterhaltungsindustrie eben eine Industrie.
Sie funktioniert kapitalistisch, gewinnorientiert, wem müßte ich das erklären? Dabei
ist ziemlich nachrangig, was diese Art von Massenkonsum an Gütern freisetzt, was die an
einer Massengesellschaft anrichten.
Warum das egal ist? Na, hören Sie! Wenn mein Angebot
Schäden verursacht, mach ich mein nächst Geschäft im Bearbeiten der Schäden. An
solchen Märkten läßt sich endlos verdienen. Das bedeutet eben auch: Kunstpraxis und
Kulturarbeit sind von sehr rigiden Kräftespielen umgeben.
Solche Kräftespiele lassen sich zumindest kleinräumig
blockieren. Wir sind gut gerüstet, an Mikroutopien zu arbeiten. Ich greife hier
ein Thema auf, das den Künstler Selman Trtovac schon Jahre beschäftigt. In meinen
bevorzugten Sprachregelungen heißt das einfach: Kollektive Kulturarbeit.
SELMAN TRTOVAC (NEBEN SABINE
HÄNSGEN VON DEN "KOLLEKTIVEN AKTIONEN")
Wenn ich gerade Trtovac erwähne, sollte ich auch auf
Wissenschafter Günther Marchner kommen. Mit ihm teile ich nun schon mehrere Jahrzehnte
des Interesses an einem speziellen Teilbereich der Kulturarbeit, an einem Praxis-Bündel,
das mit "Gemeinwesenarbeit" überschrieben ist.
Gemeinwesenarbeit, GWA abgekürzt, hat Aspekte wie
Eigenständige Regionalentwicklung, die von einem Problembewußtsein handelt, das
spätestens Ende der 1970er-Jahre greifbar wurde, als wir alle die gewohnten Denkmodelle
zum Verhältnis Zentrum-Provinz revidieren mußten, weil mehr als eine Generation
in die Reproduktion "alter Verhältnisse" gerannt war, die sich sehr wesentlich
den Ideologien des Kolonialismus verdankten.
Marchner, Trtovac und ich ergeben gerade das Basisdreieck
der aktuellen "Kulturspange". Es geht dabei um Fragen der Selbstermächtigung
in unserem Metier. Es geht auch um Fragen der Emanzipation einer Provinz den Zentren
gegenüber.
Es geht nicht zuletzt um unsere Verhältnisse,
Arbeitsbedingungen, wo wir in der Wissensarbeit und in der Kunstpraxis unsere
respektierten Plätze innerhalb jeweiliger Gesellschaften beanspruchen. Das heißt, es
geht auch um ökonomische Fragen, um das wirtschaftliche Überleben in
selbstbestimmter Kulturarbeit und Kunstpraxis.
Bei Trtovac ist das eine Postkriegsgesellschaft auf dem
Balkan, dem gegenüber sich viele hier, nördlich davon, schon über lange Zeit ganz gerne
überlegen fühlen. Bei Marchner ist das eine quasi aufgemischte Provinzgesellschaft rund
um die bäuerliche Welt, der er entstammt, im obersteirischen Bad Mitterndorf.
Ich wuchs als Proletenkind in der Provinz einer
Gemeindebausiedlung auf, wo soziale Verhältnisse gerade noch bis zum untersten Rand einer
neuen Mittelschicht reichten, zumindest in die Wohnzimmer jener, die hofften, es in diese
Mittelschicht zu schaffen. Mikroutopien. Kunst. Wissensarbeit. Und ein Trio aus drei
verschiedenen Herkunftsmilieus als Team am Ausgangspunkt...
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