10. November 2014

Knapp nach fünf Uhr morgens krieg ich eine Straßenbahn. Männer meines Alters sind wie Geister unterwegs. Manche von ihnen saufen Zigarettenrauch. Einer sagt: "Sie hat geschwiegen, also bin ich wieder gegangen. Anschweigen kann ich mich selber auch." Der wird sich bald umsehen müssen.

Ich gehe zu solcher Zeit wie ein ungemachtes Bett durch die Gegend und meide Augenkontakt, weil ich so das Gefühl bekomme, eher für mich zu sein, als im aufflammenden Stadtgetriebe. Meine Geschäfte verlangen es mir nicht ab, derlei Durchgänge jeden Tag zu absolvieren, also bin ich unter lauter Fremden.

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In einem der Läden, die ich passiere, wird eine beeindruckende Flut von Jausensemmeln angeboten. Flüchtig geschnitten und ungenau auf Käse, Wurst, Mayonnaise, vermutlich sonst noch einige Wohltaten gedrückt.

Die Arbeitswelt verschlingt unscheinbare Menschen. Über einige Stationen verdichten sich schließlich Gerüche von Duschgel, Haarschampon, Hautcreme. (Ich habe das Wort Haarschampon so lange nicht mehr benötigt, daß mir die Schreibweise völlig unklar ist.)

Eine feste, junge Stimme in der Dunkelheit läßt mich wissen: "Dschengis ist der Geilste. Da muß ich mich zurückhalten." (Aber er bringt es bloß auf etwa 1,70 Meter Körpergröße.)

Bei meinem letzten Istanbul-Aufenthalt hatte mir dort ein Wirt erläutert, sein Name, Dschengis, leite sich von Dschengis Khan ab. Jedes Volk hat seine bevorzugten Epen und bei uns heißen ja auch manche Jungs Adolf.

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Es gibt über Land kein besseres Reisen als in einem mäßig besetzten Bus, wenn die Füße genug Platz haben. Meine Nächte wissen immer noch nicht, welches Schlafmaß mir gut tun würde. Ich weiß es auch nicht.

Dieses Jahr will aus merkwürdigen Stücken zusammengebaut werden. Das sollte weitgehend erledigt sein, dachte ich. Nein, das Zusammenbauen beginnt gerade erst. Bisher waren die Stücke anzufertigen. Ich muß offenbar meine Vorstellung, was ein Jahr sei, überprüfen...

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