28. Mai 2014

Väter und Söhne. Ich bin für Geschichten rund um dieses Thema sehr anfällig. So viele verwüstete Familien. Und der ganze Rest an Bruchstücken. Gestern hat mich erst wieder ein Bekannter angestaunt, als ich meinte: "Die traditionelle Familie, was genau soll denn das sein? Welche Tradition wäre das?" Die meisten Leute meinen es zu wissen. Vater, Mutter, Kind im Verbund? Und früher die Großfamilie? Lauter Ideologie. Lernen Sie Sozialgeschichte!

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Tye Sheridan als Ellis (links) und Jacob Lofland als Neckbone

Wer konnte vor 150 oder 200 Jahren heiraten? Wie bezahlte ein kleiner Soldat des Kaisers jene Heiratslizenz, die wesentlich teurer war als jene der Offiziere? Wo blieben die Zweit- und Drittgeborenen Kinder der Bauern kleiner Wirtschaften? Was war mit den Dienstboten, dem ländlichen Proletariat? Wer also konnte heiraten und einen Hausstand gründen? Was soll denn das sein, eine "Großfamilie", noch dazu als liebevolles Miteinander, als bergender Schoß, in dem einzelne Menschen gut aufgehoben waren?

Nichts davon war allgemeiner Standard, auch wenn es vereinzelte Beispiele gegeben haben mag. Was heute noch als Gewalt in der Familie höchst verbreitet ist, aber meistens vor der Öffentlichkeit gut verborgen, darf ruhig als Erbe und Präsenz jener sehr viel brutaleren Verhältnisse unter Menschen angesehen werden, wo sich einst selbst Priester, Lehrer und andere Orts-Honoratioren nicht verpflichtet sahen, solche Verhältnisse mindestens anzuprangern.

Es war gerade noch eine in aller Offenheit sehr brutale Gesellschaft, ist es teilweise bis heute, die Gewaltneigung nun mühsam bemäntelt. Wie einst Hitler die Nazi-Tyrannei mit feinen Filmen, Autorennen und Olympischen Spielen verschönerte, tun das jetzt unsere Leute bezüglich solcher Verhältnisse mit Klischeebildern und feschen Floskeln. Der Hang zur Tyrannei mit ihren handfesten Mitteln wird verschönert.

Ich mach es kurz: Gar so viel Tradition bringt die "traditionelle Familie" nicht auf de Waage. Was wir davon hauptsächlich kennen, sind rechtsverbindliche Zustände unter Adeligen, Besitzenden. Das kopierte selbstverständlich ein aufstrebendes Bürgertum.

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Matthew McConaughey als Mud

In einer ständischen Gesellschaft war der Pater Familias als Vorstand des "Ganzen Hauses" ("Oikos") natürlich exponiert und mächtig. Ein Handwerksmeister war im Ehestand, ein Geselle kaum. Außer die Meistersgattin wurde Witwe und braucht schnell einen nächsten Ehemann, damit der Bestand des Betriebes, des Ganzen Hauses, nicht über Gebühr gefährdet wurde.

Unser Amtskirche hat ion solchen Fragen vermutlich ganz pragmatisch gehandelt. Ab dem Bischof waren die materiellen Verhältnisse bestimmt so brisant, daß private familiäre Bindungen unklug erschienen. Der Zölibat als spirituelle Implikation? Lustig! Als Schongang der Ressourcen für die Seelsorge? Wie schaffen das dann die Popen, Hodschas oder Rabbis?

Ich sehe es ganz unromantisch: Die Bischöfe mußten in Besitzfragen an die Kandare. Diese Kandare ist so radikal, das wäre in der Form nie durchgegangen, wenn man dem niederen Klerus den Umgang mit Frauen erlaubt hätten, den höheren Rängen aber nicht.

Nun ist es ja kein Geheimnis, daß in unserer Kultur zweierlei Kräfte der Angelpunkt von unendlicher Heuchelei und Unwahrheiten sind: Sexualität und Gewalttätigkeit. Um diese Regungen zu zügeln und Überschreitungen zu bemänteln, um die Mäßigung angemessen propagieren zu können, ist viel Ideologie nötig.

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Sam Shepard als Tom

Das wird auch auf visueller Ebene umgesetzt. Darum die Posen und Bildchen. Sie sind Code. Und dieser Code hat einen Kanon. Ohne Kanonisierung läuft in unserer Kultur nichts... so lange von den Hauptrouten die Rede ist. Warum ich von all dem erzähle? Weil die Themen der letzten Tage in mir weiter arbeiten. Und weil ich einen Film gesehen habe, der mich nicht losläßt.

In "Mud" (2012) zeigt Jeff Nichols auf behutsame Art, was droht, wenn Erwachsene sich nicht ausreichend in der Lage sehen, Kinder als Schutzbefohlene bei sich zu haben; als Wesen, die unseres Schutzes bedürfen und sich dieses Schutzes sicher sein sollten.

Nichols verstrickt drei Generationen an Männern für kurze Zeit mit einander, führt vor, was es an Frauen bewirkt, wenn Männer sich in ihrem Part als Erwachsene nicht zurechtfinden, gibt aber noch einen anderen, sehr wesentlichen Hinweis. Es muß nicht das eigene Blut sein, von dem ein junger Mensch die nötigen Vorbilder bezieht. Denn das ist klar, die Kleinen sehen uns genau zu. Was sie sehen, steht mitunter im Kontrast zu dem, was wir sagen.

Sam, Mud, Ellis und Neckbone geraten ineinander, als wäre es eine griechische Tragödie, die sich schließlich in der Parallelgeschichte ereignet, in einer Vater-Sohn-Geschichte unter den Männern, die Mud jagen. Ich werde noch zu erzählen haben, wovon der "Blick auf die nächste Welt" handelt.

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