3. Mai 2014 Ich habe kürzlich erwähnt, daß mir die Freude an
Spielfilmen vergangen ist, was mich zu Dokumentationen führte. Das brachte mich auf eine
höchst kuriose Serie, eine Quest von zwei Männern und einem Hündchen.
Ein goscherter Jude und ein merklich milderer Moslem in
einem grauenhaft gepimpten Volvo. Was für ein vielversprechendes Setting! Der von einem
Sprayer dekorierte Wagen zeigt auf dem Kofferraumdeckel ein üppiges Dekollete und auf dem
Dach das Antlitz eines grinsenden Bärtigen, für mich ohne Zweifel Bruno Kreisky.
(Quelle: "Entweder
Broder")
Das wirkt für sich schon alles einigermaßen provokant, es
müßte dabei noch niemand das Maul aufmachen. Beide sind Immigranten. Der Junge stammt
aus Kairo und war einst ein erklärter Antisemit. Der Ältere, dessen Eltern im Lager
gewesen sind, stammt ursprünglich aus Polen, lebte zwischenzeitlich in Österreich, womit
ich mir den Kreisky auf dem Dach erkläre, und ist heute Deutscher.
Das kommt dann beispeilsweise so: Der Moslem fragt den Juden, was denn Integration
bedeute. Gute Frage! Ich hör das nämlich auch dauernd, ohne zu wissen, was genau damit
gemeint sei. Der Jude erklärt es schlüssig: Du benimmst dich mies. Schlecht.
Wie eine Drecksau. Und keiner nimmts dir übel. Dann bist du integriert.
Ahnt schon jemand, vom wem ich hier erzähle? Ich hab den Juden lange nicht leiden
können, weil ich ihm x mal in seine provokante Art hineingestolpert bin. Heute neige ich
dazu, die Gründung einer Sekte zu empfehlen, der er als Guru vorsitzen möge. Aber das
dürfte nicht nach seinem Geschmack sein.
Es ist in der Dokumentation -- Folge für Folge -- noch keine Stunde herum, da überqueren
die zwei Männer, von einem Konzentrationslager kommend, Dachau, einen breiten
Bahnübergang. Da waren wir schon einmal, meint der Jude. Das
sagen die Juden immer, erwidert der Moslem.
(Quelle: "Entweder
Broder")
Ich könnte vor Lachen vom Sessel fallen, wenn ich erlebe,
daß Menschen einander mit solcher Ironie begegnen. In der zweiten Staffel wird der Jude
meinen Lieblingsdichter Roda Roda zitieren. Und das geht so:
Aus dem Antisemitismus könnte schon was werden; wenn die Juden sich seiner annehmen
möchten.
Ich vermute, wer sich auf solche Art über sich selbst
lustig machen kann, ist für einen menschenverachtenden Nationalismus verloren, nicht zu
haben. Das ist also ein sehr interessante Konzept.
Der Jude Henryk M. Broder und der Moslem Hamed Abdel-Samad
liefern Schritt für Schritt solche Momentchen, indem Broder zum Beispiel dem Abdel-Samad
etwas abringen möchte, dabei etwa sagt: Und wenn wir euch den Sinai
zurückgeben? Abdel-Samad lächelt. Den haben wir schon.
Broder haut noch Gaza in die Waagschale, der Moslem meint, den könne er behalten, der sei
völlig ruiniert. Zwischendurch dachte ich manchmal, daß ich von den Bosniaken solche
feine Ironie kenne. Ob das eine Option für ihre Begegnungen mit serbischen Leuten wäre?
Apropos! Während ich also zwischen gefälliger Unterhaltung, feiner Ironie und
tablettengestütztem Dösen hin- und herpendelte, entspann sich via Teleworking eine
weiterführende Verständigung, die unser Tun zwischen Österreich, Bosnien und Serbien
vertiefen solle. Siehe: [link]
Ich stolpere dabei meist ein wenig. Eigentlich muß das Bosnien und
Herzegowina heißen, was sich von den ursprünglich osmanischen Provinzen
herleitet. In der laufenden Korrespondenz behelfe ich mir da mit dem Kürzel, das man auch
auf Autos findet: BiH; i ist das serbokroatische und.
Von links: Milan Bosnic, Mirjana
Peitler-Selakov und Milica Milicevic
Es schadet nichts, wenigstens einmal gehört zu haben, daß
man bei den Bezeichnungen sehr leicht politische und ethnische Kategorien vermischt. Die
Fragen der Staatsbürgerschaft und die der Kultur sind unterschiedlicher Art. Um es
deutlich zu machen, ein Bosnier, das kann ein Serbe oder ein Kroate sein, oder eben ein
muslimischer Bosnier, der ist ein Bosniake.
Diese Zuschreibung, Bosniaken, ist noch recht jung, wurde erst in Titos
Jugoslawien eingeführt, ist wenn ich es recht verstanden habe
gleichermaßen religiöse wie ethnische Zuschreibung. Von Kroaten erwarten wir, daß sie katholisch
sind, von den Serben, daß sie orthodox sind. Abweichungen sind in der Sache
zumindest kein Thema öffentlicher Wahrnehmung..
Das schließt keinesfalls aus, es gelegentlich mit gottlosen, also ungläubigen Kroaten
wie Serben zu tun zu haben. Aber ist ein gottloser Moslem ein Moslem? Wohl kaum! So wird
deutlich, wobei einem die Kategorie Bosniake weiterhilft. Das wäre
dann ein Bosnier, der von einer osmanisch-muslimischen Kultur geprägt wurde, ohne deshalb
ein Moslem sein zu müssen.
Andrerseits scheint der aktuelle Lauf einiger
Dinge in Europa dazu zu führen, daß "Moslem" neuedings auch zu einer
ethnischen Kategorie ist, mit der sich menschen identifizieren, die faktisch gottlos sind.
Broder wendet darauf bei seiner Quest gerne Fragen an wie etwa "Beten Sie?"
(Und zwar fünf mal am Tage.) "Trinken Sie Alkohol?"
Hamed Abdel-Samad und Henryk M.
Broder (Quelle: "Entweder Broder")
Über die arabischen und generell moslemisch geprägten
Länder hat man mir erzählt, dort seien Christen besser gelitten als Ungläubige, das
mache den eigentlichen Unterschied aus, die Demarkationslinie, hinter der Probleme
beginnen können.
Übrigens, Broder wollte Abdel-Samad zeigen, wo Deutschland besonders deutsch sei, brach
mit ihm zu einer Veranstaltung der NPD auf. Das letzte Stück des Weges zu den Vorträgen
der Neonazi war von Polizei bewacht und von Barrieren gesäumt, hinter denen erregte
Menschen lautstark gegen die Nazi brüllten, schrieen und auch mit Trillerpfeifen
dagegenhielten.
Als Broder mit Abdel-Samad dieses Spalier durchschritt, bemerkte er in seine Richtung: Das
ist der beste Empfang, den ich seit langem hatte. ["Entweder Broder"] |