24. April 2014Falls heute irgendwer irgendwo etwas Abschätziges sagt, plötzlich gehen
innerhalb einer Branche die Emotionen hoch, womöglich in einem ganzen Land, und die
Verachtung treibt alle nur denkbaren Blüten, denke ich derzeit spontan am ehesten an
junge muslimische Männer in prekärer sozialer Lage.
Beleidigtsein und sich ein Ventil für den eigenen Unmut
suchen. Das kann mitunter sehr schnell zu Verletzten führen.
In und um Fußballstadien sieht man gelegentlich
Zusammenrottungen von leicht erregbaren Leuten, die kommen über einen Zuruf oder bloß
die Anwesenheit jener, welche als Feinde markiert wurden, so in Rage, daß enorm teure
Polizeieinsätze nötig werden, um Schlachten zu verhindern.
Quelle: Der Standard
Im Kulturbereich geht es da etwas moderater zu. Miss
Jane Cool erlitt, so lesen wir, einen Nervenzusammenbruch, befindet sich aber auf dem
Weg der Besserung. Muß sich sonst noch jemand bessern?
In einer mutmaßlichen Selbstbefragung auf Ö3 heißt es bei Frau Elke Lichtenegger zu "Meine
erste Platte:" aufschlußreich: "Bitte festhalten: Boney M."
Das zeugt von Charakterstärke. Unter "Mein Motto:" erfahren wir unter
anderem: "Nur die Harten kommen in den Garten!" [Zitate: Ö3 online]
Na, da nicke ich doch anerkennend, denn in dieser Passage besticht die junge Frau vor
allem durch die Klarheit und Dezenz, solche Perlen der Lebenshaltung nicht mit
"Meine Philosophie" zu übertiteln.
Heutzutage haben ja so viele eine "Meine
Philosophie", die sich dann recht häufig in einem lächerlichen Paulo
Coelho-Zitat ausdrückt. DAS halte ich in unserem Land für skandalös; aber so
erbärmliche Auffassungen davon, was Philosophie sei, lösen bei uns keinen
Entrüstungsstürme aus.
Was Kunstschaffende meiner Generation ausmacht, ist in
manchen Ecken davon geprägt, daß erwachsene Leute sich als von Selbstmitleid triefende
Heuchler erweisen, sobald sich Erregung zu lohnen scheint. Das illustriert momentan der Fall
Elke Lichtenegger, eigentlich kein Fall, sondern eine kleine Ungelegenheit, eine
österreichische Fußnote.
Lichtenegger wurde zum Thema für Kulturschaffende, als sie
in einem Interview Unmut äußerte, von "irgendeiner österreichischen,
vollkommen unbekannten Band, die halt irgendwie versucht, uns ein Lied zu verkaufen, das
wir aber nicht wollen, weil es wahrscheinlich ganz schlecht ist" in ihrer
Konzentration bei der Arbeit gestört zu werden.
Da wir alle von solchen Bands noch nie gehört haben,
merken wir sofort, wie uns so ein Statement zu magerln beginnt. Wir machen uns derweil ja
auch keine Sorgen über solche Headlines: "Amadeus-Award für Lebenswerk an
Stefanie Werger" [Quelle: Die Presse] Ja, solche Betulichkeit stecken wir locker weg.
Über Frau Lichtenegger war nun allerhand zu lesen, etwa: "So
denkt man bei Ö3 über die heimischen Musiker." Natürlich konnte Lichtenegger
nicht vor die Welt treten und sagen, was der Fall ist. Zum Beispiel:
"Ja, so ist es und ich kann es belegen. Bei all
dem Trallala, den wir Tag für Tag abspulen und den ich Tag für Tag ertragen muß, um
mein Brot zu verdienen, nerven mich dann diese unzähligen, grottenschlechten Möchtegerns
mit ihren öden Demos. So ist das eben in Österreich. Und für anspruchsvollere Musiken
sind wir der falsche Sender, Leute. Leider. Ich hab ja amal zu Ö1 rübergeschaut, aber da
hocken lauter so steinalte Leute herum. Furchtbar! Also bin ich bei Ö3 geblieben, wo eben
viel Schund gespielt wird, der das Publikum unterhält und mir hilft, meine Rechnungen zu
bezahlen. Aber so einen Schund, wie ihn uns viele heimische Bands zumuten, spielen wir
dann doch nicht."
Danach hätten jene aufzeigen können, die sich gemeint
fühlen, andere, die Musik machen, über welche zu reden sich lohnt, wären vermutlich
schulterzuckend zum Tagesgeschäft übergegangen. Doch was sagte Lichtenegger, knieweich
und offenbar ohne klare Meinung?
"Liebe Hitradio Ö3 Gemeinde, wenn man Mist baut,
muss man auch sagen: 'Ja, was ich da in diesem Interview vor einem Jahr gesagt habe, war
falsch und dafür möchte ich mich in aller Form entschuldigen!' Es war nicht meine
Intention Musiker, Musikschaffende oder Musikinteressierte zu beleidigen. So denke ich
nicht als Privatperson und auch nicht als Ö3-Moderatorin..." [Quelle: Facebook,
22. April ]
"Hitradio Ö3 Gemeinde"? Du meine Güte!
Ist das sowas wie die "Ikea-Famile"? ("Ich heiße Knut. Sagen wir
uns doch Du.") Dieses leere Lichtenegger-Geschwafel rechtfertigt kein
ausführlicheres Zitat. Aber hier ist Österreich. Wir können das noch besser. Nun sprach
der Boss:
"Bereits zuvor veröffentlichte Ö3-Senderchef
Georg Spatt am Montagabend via Facebook eine Entschuldigung für die Aussagen
Lichteneggers: "Es tut mir sehr leid, dass sich viele Musiker und Interessierte durch
dieses Interview in ihrer kritischen Meinung gegenüber Ö3 bestätigt sehen. Ich
entschuldige mich für die in diesem Interview augenscheinliche Gedanken- und
Respektlosigkeit, die nicht der Einstellung von Ö3 und seiner Redaktionen
entspricht", schreibt Spatt." [Quelle: Der Standard]
Was für eine Anbiederung! Das ist eine Floskelwirtschaft,
die uns jene Debatten ersetzt, welche ich statt dessen interessant fände. Da ginge es
etwa um ökonomische Zusammenhänge, wie sie zum Beispiel Hannes Tschürtz nennt:
"Das traurige Faktum
dahinter ist: Ö3 schadet mit seiner Politik auch nachhaltig einem ganzen Wirtschaftszweig
jeder gespielte Song bedeutet auch Tantiemen an die Urheber und Produzenten. Die
einfachste Form der Rechnung: Bei durchschnittlich vier Prozent österreichischer Musik
wandern 96 Prozent der Tantiemen ins Ausland." [Quelle: Der
Standard]
Wir könnten auch erörtern, welche Hörgewohnheiten
Kreative des Landes bedienen, welche Musikbereiche statt dessen forciert werden sollten
und was dafür angemessene Kanäle wären. Ö3? (Guter Witz!) Oder ließen sich andere
Modelle entwerfen, erproben, etablieren?
Oder bleibt den Leuten bloß übrig, sich am Boulevard
anzustellen und gegebenenfalls laut zu beklagen, daß man nicht zum Zug gekommen ist?
Ich hätte die Debatte also gerne ein wenig
differenzierter, ergänzt um klare Vorstellungen der "Zukurzgekommenen" wie es
denn eigentlich in der Praxis laufen solle. Wo kann ich derlei nachlesen? Ich bitte um
Hinweise. |