10. März 2014

Die Sonne kam heute wie ein Vollmond daher, so daß die Nacht hinter den Horizont kippte. Ich staune gelegentlich, wie viele Menschen sehr zeitig unterwegs sind, um -- wie auch ich -- an einen anderen Ort zu gelangen.

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Was für ein besonderes Gut, sich beliebig und zu jeder Zeit auf den Weg machen zu können, Distanzen zu überwinden. Während ich mir zu solchen Stunden meine Bahn suche und das klare Wetter viel Konzentration übrig läßt, streunen meine Gedanken herum, wenn ich ert einmal ein Weilchen auf der Strecke bin.

Da gibt es eine merkwürdige Trennlinie, über die ich inzwischen wiederholt gestolpert bin. Wir sind eine Generation Kunstschaffender, von denen nur recht wenige sich mit der Welt befassen möchten und auffallend viele vor allem mit sich selbst, mit den eigenen Befindlichkeiten.

Deshalb dominiert Befindlichkeitsprosa und der Boulevard hat seine eigene Schleichspur für steirische Kulturschaffende.

In einem Kommentar von Henry Kissinger zur Situation in der Ukraine las ich folgenden anregenden Satz: "The test of policy is how it ends, not how it begins." [Quelle] Der fiel mir deshalb so auf, weil wir im steirischen Kulturgeschehen einen markanten Zug zu heftigen Auftakt-Gesten haben, doch dann verebben die Geschichten und was dabei herauskommt, schert uns wenig.

Ob "Arabischer Frühling" oder Pussy Riot, schnell wird diese oder jene Pose nachgehopst. Und dann... Treiben wir wieder in die Tristesse.

Gelegentlich werde ich auf ein Episödchen hingestoßen, weil jemand meint, das müsse mich betreffen, berühren, was weiß ich. So kam ich auf einen kuriosen Appell des Grazer Liedermachers Michael K., der auf Facebook appellierte:

"Frage an die Kulturpolitik: Wie viele hochkarätige steirische Kulturschaffende verbringen jährich eine unbestimmte Zeit im LSF um sich mental wierder halbwegs aufrichten zu lassen, was kostet das der Allgemeinheit und wieviel kreatives Potential geht dadurch verloren. Ersuche um Erhebung"

Kleiner Einschub: Das Kürzel LSF steht für "Landesnervenklinik Sigmund Freud". Da ist er also wieder, der soziokulturelle Kameradschaftsbund mit seinen Helden- und Leidensgeschichten, mit seinem erträumten "Stalingrad" und seinem Unwillen, jung gebliebene Menschen erwachsen werden zu lassen, damit man für sein Tun und seine Existenz vor allem einmal selbst die Verantwortung übernehmen könnte.

Ich bedaure es freilich, wenn jemand ohne Klinikaufenthalt nicht mehr zurande kommt, denn das drückt eine massive Überlastung aus, was man niemandem wünschen möchte. Das aber in den Kunstkontext zu schrauben, ist ziemlich kühn.

Wie hinge das zusammen? Die alte Klischeenummer von "Genie und Wahnsinn"? Na, so viel Genie muß man erst einmal haben, daß es einen in den Wahnsinn treibt.

Was das die "Allgemeinheit" kosten mag, ist ja so nicht ohne weiteres zu erheben, denn es bleibt völlig ungeklärt, welches Geschäft dabei gescheitert sei und welchen Nutzen jemand dem Gemeinwesen hätten bringen können, falls... Ja, was falls? Wissen wir nicht!

Was sind also die Bedingungen eines Erwachsenenlebens in der Kunst? Was hätten wir dabei der Kulturpolitik abzuverlangen? Und was der Verwaltung? Politik und Verwaltung sind Zweierlei. Was aber, und da wird es wirklich interessant, sind denn die Berufsbilder und die Marktbedingungen, an denen zu arbeiten wäre, soweit das in unserer eigenen Verantwortung läge?

Und nun eine Hundert-Dollar-Frage: Wer hätte an all dem zu arbeiten?

Eine rhetorische Frage, denn ich weiß es ja. Wir. Wir Kunstschaffende wären die ersten, die zu klären hätten, welche Berufsbilder und Berufsbedingungen relevant seien. In der Folge wäre darzustellen, welche Schritte und Prozesse uns in angemessene Arbeitssituationen bringen könnten.

So das geklärt wäre, könnten wir verhandeln: Was ist daran unsere Sache, was ist Sache der Politik, der Verwaltung, der Wirtschaft... Und was empfehlen wir dem werten Publikum, unserer "primären Kundschaft"?

Haben wir darüber vorläufige Klarheiten? Können wir uns auf aktuelle Kunstdiskurse und kulturpolitische Debatten stützen, die uns helfen, unsere Gründe zu nennen und daraus relevante Forderungen abzuleiten?

Nächste Hundert-Dollar-Frage: Wie genau lauten diese Forderungen?

Wissen wir das? Haben wir das bei der Hand? Leider nein! Statt dessen also diese kameradschaftsbundlichen Plaudereien mit bipolaren Weltbildern, die zu simplen Feindbildern führen. (Und DAS ist zutiefst verwerflich! Ein Kunstschaffender, der mit so simplen Feindbildern arbeitet, diskreditiert sich selbst unerbittlich.)

Schuld sind also "die Anderen", genauer "die Kulturpolitiker". Entsprechend sekundiert ein Kamerad: "...nach vielen Jahren nur von presse und veranstaltern nur unterbuttert endet das eben dort.." in der "Klappse".

Das soziokulturelle "Stalingrad" ereignet sich also auf solche Art: Die Kulturpolitik versagt, die Presse und die Veranstalter halten das Publikum von ihm fern.

Im "richtigen Leben" wäre zu fragen, ob jemand vielleicht langsam die Branche wechseln sollte, wenn sein Angebot möglicherweise fast niemandem etwas bedeutet. Aber so reden wir nicht. Wie reden wir darüber? Das bleibt ein Rätsel.

Doch Trost und Geborgenheit finden wir nach "Stalingrad", und das hat eben österreichische Tradition, im Kameradschaftsbund, wo man sich gegenseitig von gehabten Schlachten, tiefen Wunden und Sanatoriumsaufenthalten erzählen kann; in der tränengetränkten Hoffnung, daß derlei Schlachtengerede irgendwen interessieren könne.

-- [Wovon handelt Kulturpolitik?] --

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