12. Februar 2014 Vor
Jahren habe ich betont, wir alle hätten ein Recht auf billige Unterhaltung. Das war
naheliegend und in eigener Sache unterstrichen, denn ich würde mich um nichts von sehr
trivialen Vergnügen abbringen lassen. Dazu gehört das Betrachten unerheblicher Filme
oder das Schlichten von Auto-Miniaturen.
So habe ich kürzlich von Autor Helmut Schranz diesen
Kracher in 1:24 erhalten, die Sportversion des Fiat nuova 500. Hier einige
Details dazu: [link]
Ich würde mich allerdings bei den unerheblichen Filmen langweilen, ließe sich das nicht
mit anderen Möglichkeiten verknüpfen.
Zeitungsartikel. Ich liebe das Auffinden geistreicher
Zeitungsartikel. Und die lese ich vorzugsweise während die miesen Filme laufen. Manche
dieser Artikel vermerke ich hier in einer eigenen Leiste: [link]
Ich halte Wißbegier für einen Teil der Conditio
humana. Das bedeutet im Gegenzug, ich mißtraue Menschen, die ohne Wissensdurst sind.
Das bedeutet überdies, ich muß an jemandem schon einen sehr wachen Geist entdecken
können, um einen Verzicht auf Bücher akzeptabel zu finden.
Gibt es aber keine deutlichen Hinweise auf einen wachen
Geist, neige ich dazu, Menschen, die keine Bücher lesen, zu mißtrauen. Ich schreibe das
nicht als eine Ansicht von der Welt, aber ich münze es auf mein Metier, auf diesen
Kulturbetrieb, der mich mit einiger Lebhaftigkeit umgibt.
Ich habe in den letzten Wochen ganz erstaunliche
Begründungen vernommen, warum jemand keine Bücher liest; respektive was einem die
Lektüre angeblich ersetzt. Mumpitz! Ich kauf das nicht.
Wissenserwerb ist ein unendlich komplexer Prozeß. In
unserer Kultur sind Bücher derart radikale Mittel in dieser Angelegenheit, daß mir --
wie angedeutet -- jemand schon sehr raffinierte Methoden zeigen muß, um auf die Lektüre
von Büchern verzichten zu können.
Der Akt des Lesens ist pure Magie. Es ist die Frucht einer
sozialen und kulturellen Revolution. Es ist unbeschreiblich, daß Bücher erschwinglich
und jederzeit zugänglich sind.
Ich gebe überhaupt nichts auf all die Geschwätzigkeit, in
der dann vom ermüdenden Alltag die Rede ist, von fehlender Kraft und Muße, was weiß
ich, was noch alles herhalten muß, um zu verbergen, daß wer seine Wißbegier beim
Fundamt nicht einmal als vermißt gemeldet hat.
Muß jemand von uns noch sechs bis sieben Tage die Woche
täglich 14 Stunden hackeln? Wohl kaum. Gibt es keine Gründe, die jemandem um jene
Stunden oder Minuten ringen lassen, in denen man neue Eindrücke sucht, Denkanstöße,
Antworten?
Im 18. Jahrhundert hat der Philosoph Immanuel Kant kurz und
unmißverständlich formuliert, was er für "selbstverschuldete
Unmündigkeit" hält:
"Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines
Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese
Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der
Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu
bedienen."
Sich seines Verstandes zu bedienen verlangt ein kleines
Schrittchen mehr, als bloß Befindlichkeitsprosa abzusondern, die auf dem Boulevard
zusammengestoppelt wurde, so ein Raunen, während man anderen Menschen, die einem
geistreich erscheinen, applaudiert.
Kant fragte unter anderem auch: Was kann ich wissen? Was
soll ich tun? Wissen. Und tun. Welch eine Empfehlung zur Selbstermächtigung! Diese
Empfehlung ist unverzichtbar, falls wir über eine wie auch immer angelegte Praxis der
Demokratie reden sollten und falls wir anderenorts zu sehen meinen, wie die Dinge nicht
laufen dürfen.
Bei all dem geht es um anspruchsvolle kognitive Prozesse
der einzelnen Person, des Individuums. Nein, sollen diese Prozesse geübt und verfeinert
werden, ist das Lesen von Büchern keineswegs unabdingbar. Natürlich geht es auch anders
und ohne sie.
Doch in dem meisten Fällen wird man nach 10, 15 Minuten
des Gesprächs leicht feststellen können, wes Geistes Kind jemand ist. Überraschungen
sind dabei selten, kommen aber vor.
Die "Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte" bietet übrigens passable Hinweise, worum es da im Kern geht.
Der Artikel 19 besagt:
"Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und
freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert
anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und
Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten."
Suchen, empfangen, verbreiten. Das ist Vergnügen und das
ist Arbeit. Das verlangt nach Dauer, Ausdauer und Hingabe. Weniger dürfte nicht reichen. Weniger,
das ist das Geschenk an jene Deutungseliten, die uns solche Mühen gerne abnehmen. (Lassen
Sie es gefälligst nicht an mir aus, sollte ich Sie daran erinnern, daß sie Ihrem
Verstand seit 20 oder 30 Jahren "Dienst nach Vorschrift" erlauben!)
Ich höre die Einwände, die diesen meinen Behauptungen
entgegenstehen. Ich wische sie mit einem Wunsch beiseite: Bitte nur einen
geistreichen Satz!
Versuchen Sie gar nicht erst, mich zu verschaukeln! Es ist
kinderleicht zu hören, ob jemand seinen oder ihren Geist die letzten zwei Jahrzehnte im
Ohrensessel hinterm Ofen ruhen ließ oder ob dieser Geist in Bewegung geblieben ist.
Ich werde mich nicht zur Höflichkeit verbiegen, darüber
hinwegzusehen, wenn so ein Geistchen humpelt und schnarcht. Ich berufe mich auf Beuys in
der Behauptung: Wenn ich es denken kann, kannst du es auch denken.
Mich interessieren keine Vorhaltungen zu meinem Verhalten
und all das Geblöke, das ich kenne; bezogen auf ein angebliches Komplizieren der Dinge,
auf eine merkwürdige Vorstellung von "Abgehobenheit", auf die Unterstellung
"elitären Gehabes".
Das ist alles unwichtig, solange nicht wenigstens diese
eine Forderung erfüllt werden kann: Bitte einen geistreichen Satz! Nur einen!
Wer das nicht vorrätig hat, kann es ja einer Tänzerin gleich tun oder einem
Schirennläufer, einer Pianistin oder einem Zahnarzt: Üben! |