18. November 2013

Was mir an diesem Jahr so bemerkenswert erscheint, ist für mich vor allem dieses bis in Erschöpfung führende Spiel der Kontraste und Unwägbarkeiten, die mich derzeit so vergnügt machen, die so langsam auch wieder in Zustände des Ausgeschlafenseins führen.

Naja, heute noch nicht, denn mein Träumen wirft mich öfter aus dem Schlaf. Es sind keine Albträume, sondern Kräftespiele aus den Themen, die mich beschäftigen. Vor einigen Jahren, als ich den Künstler Selman Trtovac kennengelernt habe, stieß ich im Grazer Künstlerhaus auch auf ein Portrait des Gavrilo Princip.

log1929a.jpg (26188 Byte)

Slavko Bogdanovic hatte es in ein Tableau gebunden, darunter der Satz "Dulce est pro patria mori". Das war 2009 gewesen, als Mirjana Peitler-Selakov mit Werner Fenz "real presence" kuratiert hatte: [link]

"Dulce est pro patria mori" bezieht sich auf Horaz, wo es in seinen Liedern (Carmina 3,2,13) heißt: "Dulce et decorum est pro patria mori". Es ist süß und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben.

Autor Wilfred Owen, Freiwilliger in der britischen Armee und auf dem Schlachtfeld schwer traumatisiert, griff das Motiv auf. Sein 1917 verfaßtes Gedicht mit eben diesem Titel schildert den Tod eines Soldaten in einem Gas-Angriff und weist den pathetischen Satz als "Die alte Lüge" aus.

[...]
My friend, you would not tell with such high zest
To children ardent for some desperate glory,
The old Lie: Dulce et decorum est
Pro patria mori.

log1929b.jpg (20567 Byte)

Bogdanovic' Gavrilo Princip hatte mich damals eine Weile beschäftigt. In meinem näheren Umfeld war das aber kein Thema. Dabei ist er eine fix installierte Ikone in den nationalen Narrativen Österreichs. (Am Tableau fällt auf, daß Gavre, auf den Kopf gestellt und aus der Ferne betrachtet, hier wie ein Reichsadler aussieht. Links, auf den Stelen, Teile einer Arbeit von Trtovac.)

Diesen jungen Männern mit etwas dürftigen Oberlippenbart und dem etwas schwermütigen Blick konnte man in Europa offenbar zu allen Zeiten fast überall begegnen. (Ich war selber einer.) Manche Quellen besagen, Princip sei, wie auch einige seiner Mitverschwörer, an Tuberkulose erkrankt gewesen, weshalb er mit keinem langen Leben rechnen konnte.

Regisseur Peter Patzak hatte den Mumm, Princip nicht als den zur Dämonisierung geeigneten Attentäter zurechtzustellen, einen "Helden", der sich ins Rad der Geschichte wirft, sondern vor allem einmal als jungen Burschen zu zeigen, der am Rande bitterer Armut den Sprung auf sichereren Boden sucht und romantische Romane liest, dabei aber gegen die handgreifliche Arroganz der Besatzer prallt.

log1929c.jpg (13825 Byte)

Patzak hat 1990 mit "Gavre Princip - Himmel unter Steinen" [link] einen sehr ruhigen, geradezu unspektakulären Film über Princip gedreht, was einen zur Frage anregen mag, warum der Mittelschüler in unserer Geschichtsschreibung teilweise derart überhöht, seine Rolle aufgebläht wird.

Patzak hält sich nicht mit dem Getöse des besonderen historischen Moments auf, sondern bleibt an der schmächtigen Figur dran. Der junge Mörder, dem das Schicksal den Thronfolger vor die Füße gestellt hat, denn im ursprünglich offiziellen Verlauf des Besuches von Franz Ferdinand wäre er nicht mehr zum Schuß gekommen.

Um das gleich einmal unmißverständlich festzuhalten: Wir betrachten einen Mörder von gerade einmal rund zwei Jahrzehnten Lebenszeit, dem sein Selbstmord in Tatortnähe mißlang, weil das mitgebrachte Zyankali ihn bloß kotzen ließ.

Der junge Panslawist, dem der Prozeß gemacht wurde und der in Haft einen bitteren wie schmerzensreichen Tod fand, denn seine Knochentuberkulose wurde ihm in Theresienstadt eher nicht gemildert, hat gesühnt.

log1929d.jpg (24659 Byte)

Reuben Pillsbury als Gavre in Peter Patzaks Film

Warum mußte der Bosnier und ethnische Serbe in unseren Geschichtsbildern so eine großen Schatten werfen? Meine Antwort ist klar. Weil er den Blick auf die unermeßliche Stümperei verstellen mußte, in der sich die Habsburger ab dem Berliner Kongreß innen- und außenpolitisch ergingen.

Dazu kommt, daß Österreichs Statthalter in Sarajevo, dessen Kompetenzmängel bloß noch von seinem Ehrgeiz übertroffen wurden, nicht nur eine Fehlentscheidung getroffen hat, sondern seinen Boss in einer ganzen Serie von falschen Schritten und Schlampereien ans Messer geliefert, beziehungsweise für den Attentäter in Position gebracht hat.

Im Rückblick entsteht fast der Eindruck, daß jeder Hausmeister diesen legendären Tag vermutlich besser organisiert und bewältigt hätte als der mit seiner Karriere beschäftigte Landes-Chef und Oberkommandierende der Balkanstreitkräfte Oskar Potiorek.

Princip mußte also in den folgenden Erzählungen an seiner historischen Position nahe der Lateinerbrücke in Sarajevo ziemlich groß gemacht werden, um den Blick auf diesen mit Orden behangenen Herren abzulenken, dessen mehrtägiges Fehlverhalten eigentlich eine weit größere Bedrohung für Franz Ferdinand gewesen ist als der Browning in Princips Hand.

[The Track: Axiom | 2014] [Generaldikumentation]

[kontakt] [reset] [krusche]
47•13