18. November 2013 Was
mir an diesem Jahr so bemerkenswert erscheint, ist für mich vor allem dieses bis in
Erschöpfung führende Spiel der Kontraste und Unwägbarkeiten, die mich derzeit so
vergnügt machen, die so langsam auch wieder in Zustände des Ausgeschlafenseins führen.
Naja, heute noch nicht, denn mein Träumen wirft mich
öfter aus dem Schlaf. Es sind keine Albträume, sondern Kräftespiele aus den Themen, die
mich beschäftigen. Vor einigen Jahren, als ich den Künstler Selman Trtovac kennengelernt
habe, stieß ich im Grazer Künstlerhaus auch auf ein Portrait des Gavrilo Princip.
Slavko Bogdanovic hatte es in ein Tableau gebunden,
darunter der Satz "Dulce est pro patria mori". Das war 2009 gewesen,
als Mirjana Peitler-Selakov mit Werner Fenz "real presence" kuratiert
hatte: [link]
"Dulce est pro patria mori" bezieht sich
auf Horaz, wo es in seinen Liedern (Carmina 3,2,13) heißt: "Dulce et decorum est
pro patria mori". Es ist süß und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben.
Autor Wilfred Owen, Freiwilliger in der britischen Armee
und auf dem Schlachtfeld schwer traumatisiert, griff das Motiv auf. Sein 1917 verfaßtes
Gedicht mit eben diesem Titel schildert den Tod eines Soldaten in einem Gas-Angriff und
weist den pathetischen Satz als "Die alte Lüge" aus.
[...]
My friend, you would not tell with such high zest
To children ardent for some desperate glory,
The old Lie: Dulce et decorum est
Pro patria mori.
Bogdanovic' Gavrilo Princip hatte mich damals eine Weile
beschäftigt. In meinem näheren Umfeld war das aber kein Thema. Dabei ist er eine fix
installierte Ikone in den nationalen Narrativen Österreichs. (Am Tableau fällt auf, daß
Gavre, auf den Kopf gestellt und aus der Ferne betrachtet, hier wie ein Reichsadler
aussieht. Links, auf den Stelen, Teile einer Arbeit von Trtovac.)
Diesen jungen Männern mit etwas dürftigen Oberlippenbart
und dem etwas schwermütigen Blick konnte man in Europa offenbar zu allen Zeiten fast
überall begegnen. (Ich war selber einer.) Manche Quellen besagen, Princip sei, wie auch
einige seiner Mitverschwörer, an Tuberkulose erkrankt gewesen, weshalb er mit keinem
langen Leben rechnen konnte.
Regisseur Peter Patzak hatte den Mumm, Princip nicht als
den zur Dämonisierung geeigneten Attentäter zurechtzustellen, einen "Helden",
der sich ins Rad der Geschichte wirft, sondern vor allem einmal als jungen Burschen zu
zeigen, der am Rande bitterer Armut den Sprung auf sichereren Boden sucht und romantische
Romane liest, dabei aber gegen die handgreifliche Arroganz der Besatzer prallt.
Patzak hat 1990 mit "Gavre Princip - Himmel unter
Steinen" [link]
einen sehr ruhigen, geradezu unspektakulären Film über Princip gedreht, was einen zur
Frage anregen mag, warum der Mittelschüler in unserer Geschichtsschreibung teilweise
derart überhöht, seine Rolle aufgebläht wird.
Patzak hält sich nicht mit dem Getöse des besonderen
historischen Moments auf, sondern bleibt an der schmächtigen Figur dran. Der junge
Mörder, dem das Schicksal den Thronfolger vor die Füße gestellt hat, denn im
ursprünglich offiziellen Verlauf des Besuches von Franz Ferdinand wäre er nicht mehr zum
Schuß gekommen.
Um das gleich einmal unmißverständlich festzuhalten: Wir
betrachten einen Mörder von gerade einmal rund zwei Jahrzehnten Lebenszeit, dem sein
Selbstmord in Tatortnähe mißlang, weil das mitgebrachte Zyankali ihn bloß kotzen ließ.
Der junge Panslawist, dem der Prozeß gemacht wurde und der
in Haft einen bitteren wie schmerzensreichen Tod fand, denn seine Knochentuberkulose wurde
ihm in Theresienstadt eher nicht gemildert, hat gesühnt.
Reuben Pillsbury als Gavre in Peter
Patzaks Film
Warum mußte der Bosnier und ethnische Serbe in unseren
Geschichtsbildern so eine großen Schatten werfen? Meine Antwort ist klar. Weil er den
Blick auf die unermeßliche Stümperei verstellen mußte, in der sich die Habsburger ab
dem Berliner Kongreß innen- und außenpolitisch ergingen.
Dazu kommt, daß Österreichs Statthalter in Sarajevo,
dessen Kompetenzmängel bloß noch von seinem Ehrgeiz übertroffen wurden, nicht nur eine
Fehlentscheidung getroffen hat, sondern seinen Boss in einer ganzen Serie von falschen
Schritten und Schlampereien ans Messer geliefert, beziehungsweise für den Attentäter in
Position gebracht hat.
Im Rückblick entsteht fast der Eindruck, daß jeder
Hausmeister diesen legendären Tag vermutlich besser organisiert und bewältigt hätte als
der mit seiner Karriere beschäftigte Landes-Chef und Oberkommandierende der
Balkanstreitkräfte Oskar Potiorek.
Princip mußte also in den folgenden Erzählungen an seiner
historischen Position nahe der Lateinerbrücke in Sarajevo ziemlich groß gemacht werden,
um den Blick auf diesen mit Orden behangenen Herren abzulenken, dessen mehrtägiges
Fehlverhalten eigentlich eine weit größere Bedrohung für Franz Ferdinand gewesen ist
als der Browning in Princips Hand.
[The Track: Axiom | 2014]
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