3. November 2013

Wir haben getrunken wie Gentlemen, waren verkatert wie Rabauken, haben zwischen diesen Positionen über das Leben und über die Kunst zu reden gehabt. Wir waren unterwegs, um etwas von dem Boden zu ergründen, auf dem wir Seite an Seite gut stehen.

Helmut Schranz kommt von einer kleinen oststeirischen Landwirtschaft. Sieben Hektar Grund waren einst gerade genug ökonomische Basis, um sich nicht aufhängen zu wollen. Hier gilt eine Wirtschaft mit 20 Hektar als großer Betrieb. In anderen Teilen des Alpen-Adria-Raumes ist das gerade die Dimension des Hausgartens.

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Ich komme aus dem Gemeindebau eines Grazer Grabens, wo damals der Versuch des sozialen Aufstieges in den Traumata des vorhergegangenen Krieges auf den Knien dahinrutschte. Da wie dort -- in der Stadt und auf dem Land -- wurde mit äußerst harter Hand regiert und bei Bedarf bedenkenlos zugeschlagen.

Schranz hat sich damit ausgesöhnt, ich bleibe darin völlig unversöhnlich. In seiner Gegend war ihm sein wacher Verstand offenbar Schutzzone. In meiner Gasse galt ein wacher Verstand als extrem provokant und war ein Garant, nicht nur hinter, sondern auch vor der Wohnungstür verprügelt zu werden.

Ich bestaune immer noch, wenn wir da in Erinnerungen schwelgen, wie unterschiedlich die Verläufe sich dann zeigen, während wir einträchtig beisammen hocken können. Schranz war seinerzeit in all dem zum Pazifisten gewachsen, ich zum mühsam zivilisierten Angreifer.

Er war als junger Kerl recht zügig bei der Wiener Nachkriegsliteratur angekommen und ist bis heute im Schreiben avantgardistischen Verfahrensweisen verpflichtet, von denen er nicht und nicht abrückt.

Ich bin über Edgar Allan Poe zu unerschrockenen Amerikanern wie Sinclair Lewis, Nelson  Algren und natürlich John Steinbeck gelangt. Das war dem Schranz viel zu gefällig. Aber heute sind wir uns einig, daß fünf Gedichte, die etwas taugen, innerhalb von zwei Arbeitsjahren verfaßt, durchaus einen Autor konstituieren; wenn man den untauglich Rest verläßlich wegschmeißt.

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Dann wäre da noch der Schranz'sche Autorenmodus, den ich hier nicht darlegen kann, weil er konzeptionell mein Auffassungsvermögen etwas übersteigt. Man könnte es salopper so ausdrücken: Schranz ist definitiv einen Tick klüger als ich, zeigt überdies die Grandezza, mich deswegen noch nie herablassend behandelt zu haben.

Dann wäre da noch dieser zutiefst demokratische Moment, daß wir im Kater des anbrechenden Morgens absolut gleich sind, auch brüderlich, ich überdies so friedfertig wie niemals in nüchternem Zustand.

In dieser Nacht, am hinteren Tisch einer bemerkenswerten Lokalität namens "Feuchtes Eck", erhielt ich eine Lektion über das rasante Verblassen von Kulturtechniken, da ich nach mutmaßlich 45 bis 50 Jahren erstmals wieder an einer Musikbox stand, die so benannt sein muß, denn kein Mensch sagte damals "Jukebox". (Jetzt geht es schon wieder mit so langen Sätzen los!)

Nun ist gerade dies eine mit Defekten behaftete Maschine, wozu gehört, daß sie nur Zwei-Euro-Münzen annimmt. (Smarter Defekt!) Das verschafft einem dort Kredit für neun herzzerreißende Nummern und ich mußte mich von amüsierten Gästen Schritt für Schritt anleiten lassen, wie ich zu den erzielbaren Eregbnissen gelangen konnte. Inklusive einem merklichen Schwerpunkt bei Credence Clearwater Revival. Unter sentimentaler Beachtung des Sir Douglas Quintet, auf das die österreichische Gattungsbezeichnung "Mendocio-Orgel" zurückgeführt werden muß.

Während ich das niederschreibe, singt der steinalte Johnny Cash gerade zum zwölften Mal auf erschütternde Art "Southern Accents". Es könnte nichts schöner zu meinen nächtlichen John Steinbeck-Reminiszenzen passen: "Now that drunk tank in Atlanta's, just a motel room to me. Think I might go work Orlando If them orange groves don't freeze..."

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In den nächsten Wochen wird es freilich um einen anderen südlichen Akzent gehen. Ich habe mit Selman Trtovac eine Konsequenz unseres heurigen Kunstsymposions herauszuarbeiten. Gewissermaßen die Überprüfung der Selbstermächtigung.

Ich hatte mit Schranz erneut abgeklärt, was in der Steiermark allfällige Gründe für die weitreichende Verweigerung von Kunstdiskursen sein mögen. Dabei schien einmal mehr klar, es ist bleibt fragwürdig, in diesen Dingen auf andere einwirken zu wollen. Aber es ist unverzichtbar, selbst Konsequenzen aus dem zu ziehen, was einem an Klarheiten greifbar wird.

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