28. September 2013 Sollte
hier jemand meine Notizen ein Weilchen verfolgt haben, auch die Querverbindungen etwa zur
Website von kunst ost beachtend, mag ihm oder ihr folgende Intention mehrmals als
explizit aufgefallen sein: Aktion und Reflexion beinander halten.
Das ist ein Prinzip welches mir in meinem Engagement für eigenständige
Regionalentwicklung vertraut geworden war, nicht nur auf die Kulturarbeit angewandt.
Dieses Prinzip hat eine konkrete Quelle. Ich hab sie kürzlich in einem Beitrag über die
Gleisdorfer TERIM-Session genannt: [link]
Es ist Paulo Freire, dessen Buch "Pädagogik der
Unterdrückten" in einer frühen Phase unserer gemeinwesenorientierten
Kulturarbeit sehr anregend gewesen ist. Da heißt es an einer Stelle: "Des
Menschen Aktivität besteht aus Aktion und Reflexion: sie ist Praxis, sie ist Verwandlung
der Welt."
Ich habe das immer als eine Gegenposition zum Faschismus
verstanden, den man -- polemisch verkürzt -- so skizzieren könnte: "Aktion
statt Reflexion". Dieser faschistische "Primat der Tat",
reflexionsfrei, weil ja ein "Führer" jenen Teil für alle erledigt, ist über
Jahrzehnte auffindbarer Bestandteil unserer Kultur geblieben.
Merkwürdigerweise hat sich von den Früchten des
Faschismus auch ein anderes Element erhalten, das heute ganz ungeschminkt zur Wirkung
kommt, ohne ausreichende praktische Einwände zu erfahren. Ich meine die Reduktion
individuellen Wollens auf a) Zugang zu Ressourcen und b) Prestige.
Das ist ein Kern der Tyrannis, bei dem dann noch innerhalb
bestehender Hierarchien geklärt wird, wer welchen Ranges ist und daher Anspruch auf
welches Ausmaß erheben darf, Ausmaß an Ressourcen und Prestige.
Dieses Muster finde ich auch in unserem ländlichen
Kulturbetrieb wieder. Das ist der Bereich, wo die Provinz gnadenlos provinziell wird; wenn
diese Reduktion nicht überwunden werden kann. Die Reduktion auf jene zwei grundlegenden
Wünsche, mehr Ressourcen und mehr Prestige für sich sichern zu können.
Solche Reduktion geschieht übrigens auch, wenn wir in der
Provinz die urbanen Varianten bürgerlicher Repräsentationskultur kopieren, letztlich
simulieren. Sie können einigermaßen sicher sein, auf so einen Moment gestoßen zu sein,
wenn etwa bei einer Vernissage viel zu viele Ansprachen mit viel zu wenig Kohärenz
anfallen, garniert mit etwas live vorgetragener Musik.
Knapp gefaßt: Honoratioren wollen genannt sein und brave
Bürgerstöchter haben gelernt ein Instrument zu spielen oder aber hübsch zu singen.
Diese Zutaten dürfen in der Imitation bürgerlicher Repräsentationskultur keinesfalls
fehlen. Auch ein ausreichendes Buffet darf nicht fehlen. Siehe dazu etwa: "Der
Hunger nach Kultur" [link]
All das istso obligatorisch wie die endlose Serie von
Logos, die bei derlei Vorhaben unterkommen müssen, weil natürlich nicht ein betuchtes
Bürgertum solche Events ausrichtet, finanziert, sondern ein Ensemble von Förderstellen
und diversen anderen geldgebenden Instanzen.
Für die gemeinwesenorientierte Kulturarbeit in der Provinz
muß also die Frage auf den Tisch, wann und wie eine Community aufhören möchte,
Surrogate zu produzieren. Bildungsbürgertum abseits des Landeszentrum neigt dazu, selbst
in den Dörfern urbane kulturelle Rituale aus der Gründerzeit zu reproduzieren; mangels
angemessener Budgets natürlich nur in bescheidenster Version.
Das Ringen um Dignität hat nicht all zu viele Optionen.
Man kann natürlich über demonstratives Verbrennen von Geld seine noble Distanz zum
Pöbel ausdrücken. Dafür muß man aber genug Geld haben; etwa um einen Bentley zu
fahren, statt eine dicken Bayern.
Wer in solchem Sinn nicht ausreichend geldig ist, muß auf
symbolische Ebenen ausweichen. Was ich damit meine? Voilá! Kunst und Kultur
bieten diese Option.
Meine Einwände dagegen halten sich in Grenzen, aber ich
habe darum zu ringen, daß dieser Modus sich nicht als dominant gegenüber den anderen
Optionen durchsetzen darf. Denn in meinem Sinn haben diese Felder vor allem einmal uns
allen Wahrnehmungserfahrungen anzubieten, also ästhetische Erfahrungen, und
folglich ein geistiges Klima zu ermöglichen, das über die Möglichkeiten simpler
Alltagsbewältigung doch etwas hinausreicht.
Reflexionsvermögen zum Tatendrang; da komme ich wieder auf
Paulo Freire. Die Verwandlung der Welt ist ja auch Ambition des Tyrannen. Bleibt
die Frage, auf welche Arten wir dazu einen Unterschied machen können.
-- [smart setting] -- |