10. Juli 2013 Ich kenne kaum
ein Werk, daß sich so hinreißend der Menschenliebe widmet, wie "Le Havre" (2011)
von Aki Kaurismäki. Der Finne zeigt uns darin Menschen, von denen die meisten ihre jungen
Tage längst hinter sich haben. Ein sehr leiser Humor und unerschütterliche Herzen
stemmen sich gegen rigorose staatliche Positionen.
Kaurismäki plädiert so für Augenmaß und
Eigenverantwortung, scheut dabei kein wenig, bis an den Rand des Erträglichen an die
Kraft der Liebe zu appellieren. Es ist auch eine unspektakuläre Mahnung an Europa, in dem
uns großspuriges politisches Personal gerne von den "Werten Europas"
daherredet, die dann oft, wie sich zeigt, nicht FÜR, sondern GEGEN Menschen in Stellung
gebracht werden.
Daß wir ihnen darin zu widersprechen hätten, sollte klar
sein, ist es aber nicht. Kaurismäki erinnert, daß natürlich auch Staatsdiener wie etwa
der Kriminalpolizist Monet (Jean-Pierre Darroussin) die Freiheit haben, sich an einer
klaren Auffassung von Menschenwürde zu orientieren.
KLEINE ZEITUNG
Dazu braucht man freilich eine Haltung, die auf Kriterien
ruht, also von Erfahrungen und Wissen handelt. Das kann ich selbst in meinem Milieu nicht
mehr voraussetzen. Ich fand es beispielsweise einigermaßen schockierend, als die "Kleine
Zeitung" am 30. Juni 2013 Kroatien mit der Headline "Heimkehr nach
Europa" bedachte.
Haben nun einige Journalisten vollkommen den Verstand
verloren? Wie kann denn jemand, der auch nur eine leise Ahnung vom 20. Jahrhundert hat,
den EU-Beitritt des jungen südslawischen Staates so kommentieren? Welche Chuzpe bewegt
jemanden, Europa und Europäische Union für Synonyme zu halten?
Wer dann in derart unscharfer Auffassung auch noch
Titelseiten beschriften darf, hilft mit Anlauf, die öffentlichen Diskurse wenigstens auf
das Niveau des Kalten Krieges zurückzuzerren. Denn was läge nun vor uns, wenn wir
Richtung der historischen Militärgrenze zwischen dem Habsburger Imperium und dem
Osmanischen Reich blicken?
Sie ahnen es: "Der Balkan" als "Nicht-Europa".
Das suggeriert dieses Sonnntags-Cover. Damit werden nicht bloß nationalistische Diskurse
westlicher Prägung aufgewärmt, sondern auch altbewährte Konfliktlinien innerhalb der
südslawischen Völker und Völkerschaften betont.
Das muß nirgends explizit im Blatt stehen. Wer, wie ich,
Jahrgang 56, im Kalten Krieg aufgewachsen ist, überdies als Kind des Nazi-Gesindels, hat
diese Codes in Fleisch und Blut. Da reichen bewährte Schlüsselworte, um gut geölte
antislawische Ressentiments zu aktivieren bzw. reaktivieren.
KRONENZEITUNG
Solche Verfahrensweisen waren natürlich absehbar. Einige
Tage davor durfte sich in der "Steirerkrone" ein Poet durchsetzen. Daß
auf einem Schiff, welches absaufen werde (Europa? Oder bloß die EU?) sich ein "Sorgenkind"
der strengen Erziehung empfehle, paßt ganz nahtlos in die vorhin skizzierte Feierlaune
des Ungeistes.
So reiht sich in diesen Tagen Beispiel an Beispiel, wie ein
westliches Europa, daß sich als neu geordnet versteht, die nationalistischen
Diskurse reproduziert, von denen wir nun seit einigen Jährchen nicht freikommen wollen,
woran Verdun, Auschwitz und Srebrenica offenbar nichts ändern konnten.
Nebenbei bemerkt: Erst kürzlich gab Timo Jäkli in "Wie
die Dichter das Volk erfanden" eine sehr gut überschaubare Zusammenfassung, wie
diese Denkweisen entwickelt und etabliert, mehr noch: marktfähig gemacht wurden:
[link]
Dieses "Völkische" als "Symbol
einer Emanzipation des Bürgertums" gegenüber den "alten Eliten" als
Ausgangspunkt jener menschenfressenden "Erfolgsgeschichte" des Nationalismus
läßt sich, wie wir sehen, nicht so leicht an die Kette legen.
GEMÄLDE VON RADENKO MILAK
Ich habe hier schon mehrfach notiert, daß ich gerade
meinen Berufsstand, jenen der Autorinnen und Autoren, dabei in besonderer Verantwortung
sehe, weil aus unserem Metier die grundlegende Hauptarbeit zu diesen Entwicklungen kam.
Ich kann bloß erneut festhalten, daß ich konsterniert
bin, wenn ich erlebe, wie solche Headlines in meinem Milieu keine öffentlichen Einwände
hervorbringen. Ich muß das zur Kenntnis nehmen, darf aber betonen, daß ich es selbst
keineswegs dabei belassen kann.
Am Vorabend des Jahres 2014 darf einmal geraten werden,
weshalb ich es so sehe. Fußnote: Wir werden uns derlei Themen im kommenden September bei
unserem Symposion "the track: axiom | südost" widment: [link] |