18. Jänner 2013

Wieviel Unruhe ist über wie lange Zeit erträglich? Warum sind in Filmen, die ich sehe, neuerdings so viele Autos rechts gesteuert? Warum bin ich kein Pazifist? Wieso ist Polenta heutzutage in zwei Minuten fertig?

Das könnte jetzt so weitergehen. Fragen über Fragen. Ich ahne allerhand Antworten. Aber denen nachzugehen ist mit meiner heutigen Tageslaune nicht vereinbar. Da wäre noch diese sensationelle Headline, durch die ich kürzlich ins Grübeln kam (Quelle: "Der Spiegel"):

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So erfahre ich manchmal tröstliche Dinge über die menschliche Natur. Das Erbärmliche drängt sich häufiger auf. Was ist das bloß mit meinem Beruf, daß sich mir immer wieder Menschen mittteilen, die sich a) offenbar noch nie für das Metier Kunst interessiert haben, b) daher auch über keine diskutierbaren Kenntnisse verfügen, aber c) bei beliebigem Anlaß gerne ihre Meinung darüber publizieren?

Mit "lieber herr krusche, deine aussagen sind ein klarer beweis für die präpotenz gewisser kunst- und kulturschaffender." leitete Daniela K. aus der Gegend kürzlich einen ihrer Beiträge zur "Jausenaffäre" ein. Das ging dann so voran:

"fakt ist, kein mensch BRAUCHT kunst. kunst ist luxus. genauso wie ein fettes auto oder ein urlaub. wer sich's leisten kann solls machen oder kaufen. dass die lieben künstler das nicht verstehen (wollen), liegt wahrscheinlich am übersteigerten selbstbewusstsein gewisser herrschaften, die der meinung sind, ohne ihre werke steht die welt nicht mehr lange."

Spießer, Mittelschicht-Trutschen, bornierte Trampel aller Art unterfüttern mit solchen Einschüben einen aktuellen Verteilungskampf, in dem Esprit niemandem nötig scheint, in dem die Wertschätzung für Wissens- und Kulturarbeit ruhig den Bach runtergehen darf. Ich weiß jetzt bloß nicht, was dann noch ganz oben auf der "Short List" steht, was also tatsächlich Wrttschätzung erfährt.

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Das bemerkenswerte am eingangs zitierten Statement: Hier offenbart sich nicht bloß völlige Unkenntnis des Metiers und der kulturellen Zusammenhänge, in denen wir Menschen unsere Möglichkeiten erschließen. Hier reproduziert sich auch der Untertan, der die Befassung mit Kunst, also mit Ästhetik = Wahrnehmung, also mit einer Verfeinerung eigener kognitiver Möglichkeiten den elitären, wohlhabenden Eliten vorbehält, sicherstellt, und sich selbst gleich über die Zuschreibung "Luxus" von diesen Zugängen ausnimmt.

Der Witz an der Sache ist ja vor allem dieser Verzicht auf eine verfeinerte geistige Welt, als deren Teil man natürlich auch im Banalen und in der Alltagsbewältigung große Vorteile hat. Vorteile gegenüber den Stammelnden, die ihre Zustände nur schwer reflektieren und schon gar nicht anderen mitteilen können.

Es gibt da ganz simple Tests. Zum Beispiel die Aufforderung: "Sagen Sie einmal einen geistreichen Satz!" Oder: "Stellen Sie einmal eine interessante Frage!"

Dafür gerüstet zu sein, das ist wahrlich kein Luxus, sondern der Ausdruck einer weisen Revolution gegenüber den elitären Minoritäten, die ganze Volkswirtschaften ausplündern und Millionen Geduckte in Kauf nehmen, um sich ihre Vorteile zu sichern.

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Kein Mensch braucht Kunst! Genau! Kein Mensch braucht jene Art verfeinerte Sinne, jene langjährigen ästhetischen Erfahrungen, jene avancierten Formen der Selbstreflexion und der Kommunikation mit anderen, jene Freude an Erfahrungen durch Prozesse, die nicht bloß banalen Alltagserledigungen gewidmet sind.

Noch ein paar Worte zur oben erwähnten "Jausenaffäre". Daniela K. hatte auf einen Zeitungsartikel reagiert, der die Beschwerde eines Menschen behandelte, bei einer Vernissage in Gleisdorf sei keine angemessene Verköstigung des Publikums geboten worden.

Daraus schloß Daniela K. messerscharf, daß diese Beschwerde eines Gastes doch den Kunstschaffenden angelastet werden müsse: "Was ist das für eine Schnorrer-Mentalität der Künstler?"

+) Der genannte Artikel in der "Kleinen Zeitung": [link]
+) Meine Replik: [link]

Und überhaupt. Schnorrer? Daniela K. hat nicht verstanden, daß sie die Wohltaten eines reichen Landes genießt, wo der Staat in einige Bereiche investiert, die NICHT dem Markt ausgeliefert sind. Gesundheit, Sicherheit, Bildung, Kultur... in solchen Genres arbeiten Menschen teils mit öffentlichen Geldern, ergänzend auch ehrenamtlich.

Und wann immer Budgets knapp werden, weil etwa die Verwaltung zu viel kostet, Minoriäten die Republik ausplündern, statt zum Gemeinwohl beizutragen etc., melden sich mentale Untertanen zu Wort, um sich in der Herabwürdigung des Kunstfeldes zu bewähren.

Unterm Strich heißt das auch, wer Kunstschaffende als angebliche "Schnorrer" und "Luxusgegenstände" desavouiert, empfiehlt sich den tatsächlichen Geld-Eliten als nette Gefolgschaft, von der diesen Feinden einer offenen Gesellschaft, in der Verteilungsgrechtigkeit herrschen könnte, niemals etwas drohen wird. Anders ausgedrückt: So leckt man Stiefel.

[Weg mit der Kunst!]

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