30. November 2012Manchmal, wenn die Tage zum Bersten voll waren, sagt eine Instanz in mir, ich
solle nachts noch Zeit ganz für mich haben. Manchmal geht es vom Vormittag bis vier Uhr
morgens mit mir durch. Manchmal ist mein Leib erschöpft und zerrt meinen Geist aufs Sofa.
Manchmal ist meine leibliche Munterkeit eine Bürde, weil mein Kopf das Denken abgebrochen
hat.
Was für eine feine Mischung für ein fumlinantes
Durcheinander! Wenn gar nichts gelingen will, ich hab aber das Gefühl, es müßte noch
etwas erledigt werden, widme ich mich diesen oder jenen Aufräumarbeiten. Davon profitiert
meine Wohnung am wenigsten.
Daran erkenne ich auch meinen Sohn. Wir saßen eben, solche
Dinge erörternd. Gabriel meinte, zwei Stunden Ziegelschleppen sei ihm lieber als Geschirr
abwaschen und aufräumen. Ich hab zustimmend genickt, mehr an Zustimmung hätte ich mir
nicht erlaubt.
Mir sind dabei kleine Auswege parat. Früher hatten Leute
unserer Herkunft kein solches Tegerlwerk mit dem Haushalt, erzählte ich ihm. Männer und
Frauen hätten den ganzen Tag ganz andere und wichtigere Arbeiten gehabt, damit genug
Essen auf den Tisch kam. Ein sauberer Haushalt sei da nicht wichtig genug gewesen.
Das ist natürlich nicht fair, aber sozialgeschichtlich
durchaus haltbar. Mir ist heute außerdem nach Zerstreuung. Es ist in den letzten Monaten
so viel gelungen und ich bin müde.
Zerstreuung, das heißt etwa, ganz unerhebliche Dinge
dürfen kurz großes Gewicht bekommen. Wie etwa meine Freude darüber, daß ich endlich
eine tiefe Lücke in meiner Sammlung schließen konnte. Ee ist ein Fiat 600 im Maßstab
1:87.
Dieses Auto hat für die Massenmotorisierung Europas eine
weit diffizilere Bedeutung als der VW Käfer. Es ist eine ziemlich glanzlose Glanzleistung
italienischer Ingenieure unter Dante Giacosa. Diese ganze Geschichte ist sowieso erst halb
erzählt.
Was ich in jüngerer Vergangenheit hier angerissen habe,
ist übrigens auch daran geknüpft. Unsere Mobilitätsgeschichte und ihre Mythen.
Aufstiegsphantasien. Teilhabe am Reichtum. Was ist was? Und wie wird davon erzählt? Wer
hat Zugänge zur Öffentlichkeit und wer nicht?
Wir haben auf regionaler und lokaler Ebene ausreichend
Gelegenheit, diesen Fragen nachzugehen. So haben etwa meine Anfechtungen des
Wolfmayr'schen Trivialromans über Gleisdorf keine formellen Erwiderungen. Dabei hat die
Autorin fast nichts von dem ausgelassen, was in einer kleinstädtischen Kommunität der
Reflexion wert wäre.
Heißt das, Reflexion ist generell unerwünscht? Das glaube
ich nicht. Es geht hier eher um Mittel und Modalitäten. Ich wechsle kurz das Thema und
bleibe dennoch bei der Sache.
Unsere Arbeitsleiste "smart setting" [link] ist nun auf der Schiene.
Ich habe es an anderer Stelle schon erwähnt: Wäre mindestens der Gleisdorfer
Bürgermeister so ein Vollpfosten, wie jener in Wolfmayr's Roman, es ginge all das nicht,
womit wir uns derzeit auch auf dem Kulturfeld und im Dialog mit dem offiziellen Gleisdorf
befassen.
Also geht es auch um die Frage: Wie über Kunst denken? Und
sprechen? Wie den Kunstbetroeb darstellen?
Alleine die deppenhafte Schrulle anzunehmen, der Stadt
fiele ein PR-Gewinn zu, wenn einer ihrer Einwohner, der Maler, seinen Auftritt der Biennale
von Venedig habe, ist ja ein Unsinn, dem Gleisdorfs Funktionstragende eher nicht
verfallen; zumal wir hier schon mit Leuten gearbeitet haben, die auf dieser Biennale und
anderen großen Events vertreten waren.
Da meine ich zum Beispiel das "SPLITTERWERK"
aus Graz, siehe: [link] ...oder jüngst die "Kollektiven Aktionen"
aus Moskau, siehe: [link]
Beide übrigens in Kooperation mit dem Festival "steirischer herbst"
bei uns zu Gast.
Das hat keinesfalls einen so direkt umsetzbaren Nutzen, wie
Wolfmayr ihn als denkbar andeutet. In solchen Annahmen äußert sich eine
Verwertungslogik, die auf unserem Feld nicht etablierbar ist... zum Glück!
Kleiner Einschub: Nicht einmal ausgesprochene Stümper in
Fragen der Kulturpolitik versteigen sich zu solchem Mumpitz.
Der Nutzen solcher Ereignisse ergibt sich vorerst einmal
und hauptsächlich in einer großen Bereicherung des geistigen Klimas, was vorteilhafte
Auswirkungen auf das Tun einzelner Menschen hat. Das wiederum verändert nicht nur die
kulturelle Situation dieses Lebensraumes, sondern zeigt mittel- bis längerfristig
natürlich auch in Geld meßbaren Benefit.
Doch wer diese Zusammenhänge verkürzt, fällt uns in der
Rücken bei unserem Bemühen, die Ressentiments und Vorurteile von Funktionstragenden
abzubauen und die Bevölkerung auf einen Weg zu bringen, welcher gegenüber Wissensarbeit
und Gegenwartskunst zu weniger Abschätzigkeiten führt.
Worum bemühen wir uns also? Um ein lebhaftes geistiges
Klima und um dessen Grundlagen. Das die zunehmende Abwertung von Wissensarbeit gebremst
werden kann und daß die populäre Geringschätzigkeit gegenüber Gegenwartskunst weniger
werde.
Das Ringen um solche Prozesse der wechselseitigen Kenntnis
und Akzeptanz wird durch Machwerke beschädigt, die einen lokalen wie regionalen
Kunstbetrieb promoten, der auf dem Boulevard kreiert wurde, wie es ihn so nicht einmal
real gibt, wie er aber geeignet ist, die relane Bemühungen um solche Optionen jenseits
des Landeszentrums lächerlich zu machen.
Genau das finde ich so provokant an Wolfmayrs Roman und das
entzweit uns erneut; sie liefert ja nicht zum ersten Mal derlei Attacken auf das reale
steirische Kunstgeschehen. |