11. November 2012

Ich denke, bei einem historischen Body Count würde es keine Handfeuerwaffe auf insgesamt mehr Tote bringen als der 1947er Automat von Kalaschnikow. Ein Mordwerkzeug von sensationeller Effizienz. Billig herzustellen, leicht zu warten, fast unverwüstlich. Wie kann man pleite gehen, wenn man eine so gefragte Ware im Programm hat?

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Die Nachricht (Quelle: "Kronenzeitung") ist ein wenig skurril. Vermutlich liegen darin ein paar sehr aufschlußreiche Aspekte, wie unsere Wirtschaft heute funktioniert. Mich interessieren zur Zeit allerdings tiefer liegende Zusammenhänge.

Was Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf über die Entstehung der Landwirtschaft publiziert hat ("Wie die Menschen sesshaft wurden"), war mir vor einiger Zeit sehr umfassende Anregung zum Verständnis mancher Effekte, die wir heute leben.

Ein anderer Evolutionsbiologe, Jared Diamond, rundet mir einige der Bilder, die ich von Reichholf bezogen hab, sehr anschaulich ab. Seine Gesellschaftstheorie hat einige ziemlich beunruhigende Momente. Mir scheint vor allem, diese lange Geschichte der "Funktionseliten", wie sie über den Nahrungsüberschuß durch Landwirtschaft möglich wurden, ein ziemlich harter Brocken.

Der Schwank an dieser Geschichte: Das hilft mir auch beim Verständnis jener Zustände, die ich hier in den letzten Tagen thematisiert habe. Die zunehmende Boulevardisierung unserer Gesellschaft bei tatkräftiger Unterstützung durch Spießer und Mittelschicht-Trutschen.

Warum das vor allem im Kulturbereich so markante Zeichen setzt, habe ich über die Medien- Reflexionen von Historiker Matthias Marschik schon angerissen. Da sind keine "getrennten Positionen" (Wir/Die Medien), aus denen heraus sich etwa zwei Lager gegenseitig ein Kräftespiel bieten würden.

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Transport und Kommunikation: Die vormalige Postmeisterei in Gleisdorf.

Ich denke eher, wir sind alle "embedded". Anders ausgedrückt: Wir alle sind in den Fragen individueller und kollektiver Identitätsbildung Teil dieses Mediensystems, denn beide Arten der Identitätsbildung finden als ein Ereignis unserer (massen-) medialen Situation statt und lassen sich davon praktisch überhaupt nicht abkoppeln. Daraus ergibt sich auch ein markanter Hinweis, was "Massenkultur" bedeutet

Wenn einem das einmal dämmert, ahnt man vielleicht, daß wir etwa unsere Rollen, unser Selbstverständnis, was Kunst- und Kulturschaffende sind und tun, auf einen aktuellen Stand bringen müßten.

Ich glaube nicht, daß das in meinem Milieu schon einigermaßen breit verstanden wurde. Kurz zurück zu Diamond. Er stell zum Beispiel eine sehr verblüffende Frage, die etwa so lautet: Warum unterwarfen Spanier die Inka und töteten Atahualpa? Warum war es nicht umgekehrt?

Es lag nicht nur an den Stahlwaffen, den Gewehren und Pferden. Es lag auch an den Transportmitteln (hochseetaugliche Schiffe). Und an den Krankheiten, die Europäer mitbrachten, gegen die viele andre Völker noch keine Resistenz hatten. Krankheiten, deren Erreger teilweise, so Diamond, aus der Tierwelt stammten, die Mutationen aus der Zeit der Domestikation von Tieren waren.

Diamond stellt fest, daß fast 95 Prozent der präkolumbianischen Völker durch Epidemien wie Pocken zu Tode kamen. In die Gegenwart geholt: Technologische Überlegenheit, Verbreitungsgeschwindigkeit (Logistik und Kommunikation) sowie ein überlegenes Gesundheitssystem sind Faktoren, die bei der Unterwerfung von Völkern wichtige Rollen spielen. Damals wie heute.

Kein Zufall, daß ich Logistik und Kommunikation betont habe. Das rückt den Blick AUCH auf die Frage nach Funktionseliten. Damit komme ich wiederum auf die lokale Ebene zurück, auf die Stadt Gleisdorf und auf die Einwände, die ich gegenüber Andrea Wolfmayrs aktuellem Roman habe.

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Durch eine kleine Plauderei mit Dietlinde Grill fand ich dieser Tage Gelegenheit, ihr Anwesen von innen zu sehen. Das war nämlich nicht nur ein erstes Postamt von Gleisdorf, sondern auch eine Postmeisterei mit den Stellplätzen, wo Kuriere und Kutscher die Pferde wechseln konnten. (Transport und Kommunikation!)

Grill war so freundlich, mir ein Buch zu leihen, das schon lange nicht mehr auf dem Markt ist. Eine Orts-Chronik von Franz Arnfelser aus dem Jahre 1928. Bei den verschiedenen und teilweise in einander verschachtelten "internen" Hierarchien der Stadt Gleisdorf ist ja etwa die Wolfmayr'sche Zuschreibung "Edelbürger" ohne jede Aussagekraft, selbst wenn sie ironisch gemeint wäre.

Man beginnt, kleine Klarheiten zu entdecken, wenn man zum Beispiel davon ausgeht, welche Familien der Stadt schon in der Arnfelser-Chronik genannt werden und welche erst in jener von Robert F. Hausmann und Siegbert Rosenberger, die 1979 erschien.

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Damit bin ich auch wieder bei Marschik und seiner medienkritischen Arbeit. Wie handeln die Deutungseliten einer Gesellschaft? Wo wird von wem erzählt, was es ist? Wer hat Medienzugämge und wer bleibt davon abgeschnitten?

Marschik schreibt von einem "Supersystem der Medien". Es sollte uns etwas dazu einfallen, wenn er "die Bilder der Werbung als Lieferanten zweckmäßiger Äquivalente der früheren Mythen" deutet.

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