8. November 2012Der Historiker Matthias Marschik publizierte 1997 einen kleinen Essay "Von
Bildern und Mythen". Darin befaßt er sich mit unserer Selbstwahrnehmung und
Identitätsdbildung im Wechselspiel mit den Medien. Er denkt über individuelle und
kollektive Identität nach.
An einer Stelle des Textes konstatiert Marschik: "Die
Medienkultur ist eine auf Gewinnmaximierung ausgerichtete industrielle Kultur, die mittels
neuester Technologien als Massenproduktion für ein Massenpublikum konzipiert ist."
Historiker Matthias Marschik
In diesem Zusammenhang ist es sehr anregend zu fragen, was
denn Massenkultur und Massenpublikum sind und wie sich beides zu einander verhält. Ich
hab mich in den vorigen Beiträgen damit auseinandergesetzt, wie sich individuellere
Ansichten und Deutungen zu einer völlig neuen Wirkung entfalten, wenn sie massenmediale
Verbreitung finden. Das hat nicht nur geschäftliche Gründe.
Meine aktuellen Beispiele sind mir gerade so zugefallen.
Damit meine ich, daß sie mir vermutlich nur deshalb auffielen, weil ich mich derzeit mit
ein paar Fragen beschäftige, zu denen sie als Beispiele taugen. Zugleich scheint mir aber,
da lassen sich Tendenzen in größerem Ausmaß feststellen.
Der Überschall-Springer Felix Baumgartner, die Autorin
Andrea Wolfmayr und die Philosophin Monika Wogrolly liefern mir dazu nicht
Diskussionsstoff, indem sie bestimmte Ansichten HABEN, sondern indem sie diese Ansichten
via Massenmedien ÄUSSERN.
Für mich war dabei auffallend, welche Deutungen sich aus
solcher Kolportage in meinem näheren Umfeld ergeben. Das gibt ja einigen Aufschluß
darüber, was Massenkultur ausmacht und wie wir individuell darauf reagieren, aber auch
darauf einwirken.
Eine Nebenbemerkung zu Marschik. Ich habe mit ihm gemeinsam
ein Buch zum Themas Massenmobilität am Beispiel des Steyr Puch 500 geschrieben;
wir sind dieser Tage mit dem Finish daran beschäftigt: [link]
Dieses Thema ist gar nicht darstellbar, wollte man die
Aspekte Massenkultur und Massenmedien eher ignorieren. Zurück zu Marschiks Essay.
Wo es nun um Modelle und Lebensentwürfe geht, um
Orientierung am Leben realer oder vorgestellter anderer Subjekte, "die als
vorbildhaft erlebt werden", um Orientierung an paradigmatischen oder idealen
Leitbildern, konstatiert er einerseits einen enormen Bedarf, nennt andererseits
wirkmächtige Lieferanten.
"Die Medien haben im Angebot solcher Modelle eine
wesentliche Rolle übernommen, indem sie mittels Printmedien oder TV, in
Informationssendungen genauso wie in der Werbung, ideale Lebensentwürfe präsentieren und
Vorbilder eines positiven Lebens bis ins Wohnzimmer transportieren."
Das müssen nicht alle unter uns wissen, kapieren,
durchschauen. Es wäre jedoch vorteilhaft, wenn wir es als Gesellschaft für naheliegend
hielten, daß wir ergänzte Kulturtechniken und adäquate Medienkompetenzen anbieten.
vermitteln, die uns befähigen, diese Zusammenhänge zu sehen, zu begreifen.
Alle Welt muß es also vorerst nicht wissen, eine
Schriftstellerin, eine Philosophin und ein Action-Darsteller, der sich mehrere Jahre auf
seinen Coup vorbereitet hat, wissen das selbstverständlich und wissen daher auch, was sie
tun, wenn sie eine Sache so oder so spielen.
Marschik zitiert Thomas Fitzgerald: "Die Medien
definieren die Umwelt, in der Identitäten geformt werden." Ich denke, es kann
gar nicht überschätzt werden, was es bedeutet, daß diese Angelegenheiten eben nicht
mehr vorrangig in realer sozialer Begegnung geregelt werden: Als Rollenmodelle
des Verhaltens beeinflussen sie unsere persönliche Identität in der gleichen Weise, wie
das früher durch interpersonelle Beziehungen geschah.
Damit will ich auch ausdrücken: In unserem Metier gibt es
keine Unschuld und auch keine Unschuldsvermutung. Wer das Medienfeld betritt, wer via
Medien publiziert, muß wissen, was es damit auf sich hat oder macht sich in eben der
möglichen Unwissenheit zur Komplizin eines Systems, das weit größere ist als unsere
Auffassungsgabe, wie das Philosoph Günther Anders formuliert hat.
Ich nutze eine derbe Metapher. Ich gebe keinem Kleinkind
keine durchgeladene und entsicherte Pistole in die Hand. Wenn ein Erwachsener danach
greift, wissend oder unwissend, was das Ding kann, schafft es eine ganz andere Situation,
gelten nicht mehr die gleichen Regeln wie für das Kleinkiund.
Marschik sagt mit Kenneth Gergen: "Medien greifen
kulturelle Vorgaben auf und verbinden sie mit eigenen Interessen. So wird die Grenze
zwischen Realität und Schein, das Wissen um eine objektive Wahrheit aufgehoben, eine
Vielheit an Perspektiven eröffnet."
Das hat nicht nur negative Konnotationen. Wenn das Wissen
um eine objektive Wahrheit als aufgehoben betrachtet werden darf, wenn uns allen eine
Vielheit an Perspektiven eröffnet ist, dann ergibt sich daraus eine sehr gute Position
gegen die Tyrannis. Die muß man aber auch suchen und einnehmen wollen... |