22. August 2012 Ich hab die Hitze noch nie gemocht. Ich hab ein merkwürdiges Vergnügen an
der Hitze. Wie soll man bleiben, wer man ist, um zu werden, was möglich wäre? Der Staub
und die Sonne. Nie komme ich an, nie bin ich zuhause. Dieser Sommer ist wie ein Nagel in einem sonst glatten Bretterboden.
Dann wäre da noch etwas.
Künstler Selman Trtovac befaßt sich in einer Dissertation
mit inneren und äußeren Strategien Kunstschaffender. Er gehört dem Kollektiv "Treci
Beograd" an, für das er zwei Bedingungen nennt: Innere Disziplin und künstlerische
Verfassung.
Das ist nicht bloß sehr nach meinem Geschmack, das klingt
auch etwas anders als die operettenhaften Bohème-Nummern, die mir in meiner Umgebung all
zu oft gegeben werden. Wir haben eben über Axiome gesprochen. Eine
Denkmöglichkeit. Eine Konstruktion. Nägel im Nichts. Haltepunkte in einer Raumesweite,
die uns verlorengehen ließe.
Aber zugleich müssen wir den Raum, in dem wir uns
aufhalten und zurechtfinden können, überhaupt erst konstituieren. Und wir müssen diesen
"Möglichkeitsraum" durch permanentes Zutun aufrecht erhalten.
Ich habe kürzlich mit Kulturwissenschafter Günther
Marchner unter anderem über Richard Sennett zu reden gehabt. In seiner fulminanten Arbeit
über das Handwerk vertritt Sennett die Ansicht, daß Körpererfahrung eine
wichtige Basis für Sprachvermögen sei.
Körpererfahrung, das bedeutet Körperlichkeit, also
Räumlichkeit. Sennett beruft sich unter anderem auf Berichte, daß Aphasie, der
Verlust einer Fähigkeit Wörter zu verstehen und zu gebrauchen, durch Vorfälle manchmal
gemeinsam mit Apraxie daherkomme, dem Verlust erlernter Bewegungen.
Nun läßt sich offenbar mit der Heilung von Aphasie
besser vorankommen, wenn die Apraxie schon ein Stück ausgeglichen werden konnte.
Körpererfahrung, Raumerfahrung, Mobilität...
Zurück zu Trtovac.
Seine Reflexionen bringen ihn auch dazu, "Feinde"
für den Weg des Künstlers zu benennen. Er kam auf vier wesentliche Gefahren. Die Angst,
welche vor allem in existenziellen Belastungen wurzelt. Die Überheblichkeit,
wenn man derlei Ängste bewältigt hat und alles zu wissen glaubt. Die Macht, die
man aus einem Status ableitet, der einen über solche Sorgen erhoben hat. Und schließlich
das Alter, wenn man aufhöre Wünsche zu haben.
Und da höre ich manchmal leichtfertige Menschen vor einer
Arbeit, die sie flüchtig und ohne Sachkenntnis bewerten, kühn sagen: "Das kann
ich auch." Geschwätz! Mumpitz! Was einer auch kann, ist so meist eine Sache des
Mundwerks. Die beschrittenen Wege sehen dann gewöhnlich anders aus. |