5. August 2012 Es ist immer das Schreiben, in dem sich mein Denken abrundet. Text als ein
Fazit. Text als ein Codesystem, das mir ein anderes Ordnen der Dinge zuläßt. Keine
Alternative, sondern zusätzlich, in einem komplementären System. Über künstlerische
Praxis kommen noch andere Optionen dazu.
Ich kann es nicht besonders leiden, wenn derlei Dinge in
Stehsätzen abgehandelt werden. Man müsse die Dinge "ganzheitlich" betrachten,
höre ich oft. Was heißt denn das? Es ist doch dann so, daß wir uns vor allem von der
Komplexität dieser Welt nicht einschüchtern lassen sollen und daß wir eine Klugheit
erringen müssen, die es uns erlaubt, diesseits des Ganzen, über erfahrbare Teile,
Bruchstücke, mit unseren Aufgaben zurande zu kommen.
Das Ganze "ganzheitlich" betrachten zu wollen
liegt mir irgendwo zwischen Chuzpe und Selbstüberschätzung. Was für eine
Floskelwirtschaft, mit der unsere bescheidenen Möglichkeiten bemäntelt werden sollen.
Das fügt sich in die Partyzeit der Bezichtigungen, in
dieses nun schon jahrelang anschwellende Konzert des Absingens von Problemkatalogen und
Schuldzuschreibungen. Was für schwere Zeiten! Welche Furcht und Ratlosigkeit! Was für
ein ermüdendes Theater!
Ich habe eben erst wieder erlebt, wie ein Funktionär genau
die Veranstaltung eröffnete, zu deren Themenstellung er ab-so-lut nichts zu sagen wußte.
Deshalb verlegte er sich aufs Schwafeln, Stammeln, Schwadronieren. Ein Mann von Geist
hätte das auf zwei bis drei Minuten beschränkt, um der Etikette Genüge zu tun. Ich
verstehe das. Aber!
Dieses Im-Dunkeln-Tappen auf etwa eine viertel Stunde
auszubreiten, das ist entsetzlich. Und noch entsetzlicher ist es, wenn eine Branche, die
sich den geistigen Dingen und der Kommunikation verschrieben hat, das hinnimmt.
Kommentarlos. Ohne Einwand.
Ich hab eingangs erwähnt, Text sei mir ein Codesystem, das
mir gegenüber dem Denken ein anderes Ordnen der Dinge zuläßt. Nicht als Alternative,
sondern als komplementäres System. Da liegt nun ein Radikales in der Befassung mit Kunst.
Es geht darum, diese Möglichkeiten um noch weitere Codes in einem komplementären Sinn
auszuweiten.
Im Streit um den Rang von Kunst innerhalb sozialer Systeme
halten mir die Stümper stets die Artefakte vor, von denen sie sich überfordert fühlen.
Die Artefakte, einige Werke eben, sind bloß ein Teil der Ergebnisse und es wäre doch auf
den Praxisteil selbst zu achten, auf diese Praxis der Nutzung höchst unterschiedlicher,
komplementär zu einander wirkender Codes.
Das ist kein "ganzheitliches" Herumschrauben an
einer viel zu großen Gesamtheit, das ist ein beherztes Losziehen in jene Komplexität,
die einen verschlingen wird.
Wer meint, Künstler zu sein bedeute Kunstwerke zu
schaffen, gehört einem anderen Verein an, nicht dem meinen. Denn das Produzieren der
Werke ist nur ein Teil der Geschichte. Wahrnehmungserfahrungen. Denkprozesse. Reflexion.
Kommunikation. In solchen Ensembles, in ihrem Zusammenwirken, ereignet sich ja nicht bloß
Kunstproduktion, sondern ganz generell unser Leben. Wie und wann verfeinert
jemand diese Grundlagen?
Drehen Sie es, wie sie es wollen, kaum ein anderes Genre
fordert und vertieft alle diese Möglichkeiten im jeweils aktuellen Wechselspiel,
überdies unter der Anforderung, meist mehrere Codes zugleich und -- wie nun mehrfach
erwähnt -- komplementär zu nutzen. Die die Befassung mit Kunst tut das auf jeden Fall.
Davon ist übrigens auszugehen, wenn wir die Bedingungen
der Kunst kulturpolitisch verhandeln. Apropos Politik! Der Unternehmer Martin Schlaff
sagte in "profil" #31 vom
30.7.12, Politik sei nicht nur "das Managen des Staats, sondern auch das
Aufklären der Bürger".
Aufklären bedeutet unter anderem, einen Faktenstand
darzulegen und erste Deutungen vorzunehmen, ohne jenen, die man anspricht, ihre eigenen
Deutungen vorwegzunehmen. Falls es in Österreich daran mangelt, und ich gehe davon aus,
das läßt sich nicht bestreiten, wäre freilich auch zu fragen, warum wir es der Politik
nicht tätig abverlangen und warum wir nicht selbst für ein Klima sorgen, indem jede
Autorität, die sich antiaufklärerisch gibt, zum Schandfleck verkommt und mit
entsprechend breitem Konsens dafür geächtet wird... |