28. Februar 2012

Kürzlich promotete die "Süddeutsche" mit einem verblüffenden Rekurs auf KUNST einige Stücke originellen Grafik-Designs unter dem Titel "Zehn kreative Timeline-Designs – Wenn das Facebook-Profil zum Kunstwerk wird": [link]

Da nun Grafik-Design und Kunst zwei verschiedene Genres sind, die zwar teils aus gleichen Quellen schöpfen, teils gleiche Mittel nutzen, teils gleiche Strategien und Ziele verfolgen, aber eben DOCH zwei verschiedene Genres sind, deponierte ich auf Facebook einen diesbezüglichen Einwand.

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Man könnte polemisch verkürzt zusammenfassen, ein Stuhl sei eben kein Tisch, obwohl sich an diesen Möbeln viele Gemeinsamkeiten finden lassen. Im Alltagsdiskurs muß man es auch nicht allerweil so genau nehmen, aber in der Redaktion eines renommierten Blattes sollte das Personal doch fähig sein, die Genres angemessen zu erkennen.

Nun ließe sich noch einwenden, die Zuschreibung "Kunstwerk" sei als Metapher für allerhand gelungene Dinge im Allag sehr verbreitet, was ja nicht Ausdruck eines Kunstdiskurses ist, sondern einfach Wertschätzung signalisiert.

Dann geschah etwas Verblüffendes. Ich hatte ja keinen Kunstdiskurs angezettelt, schon gar nicht einen über Kategorien der Kunst, doch ganz aus dem Blauen kam die erstaunliche Unterstellung, ich hätte a) das Grafik-Design gegenüber der Kunst abgewertet und b) vor allem Marktkriterien geltend gemacht:

>>entschuldige bitte, normalerweise füttere ich Trolle nicht - aber ich kann Deiner Argumentation nicht folgen. Ob ich etwas für Kunst halte oder nicht bzw. ob die Gesellschaft etwas für Kunst hält oder nicht hängt von vielen, sich ändernden Faktoren ab. Und es hat nichts mit monetären Belangen zu tun. Oder würdest Du sagen das Kunst nur ist was viel Geld kostet/hohe Honorare bringt? Genau das ist nämlich die Konsequenz Deiner Argumentation mit der Abwertung. Wenn das der Fall ist, dann sind Prozesskonsultants Künstler, die kosten nämlich 400Eur die Stunde.<<

Wie gesagt, von Geldfragen war im ganzen Thread keine Rede. Offenbar war allein schon die Tatsache provokant, daß ich die Fähigkeit von Journalisten reklamiert habe, in den Sprachregelungen Kunst und angewandte Formen von einander kategorial zu unterscheiden. Ich erzähle das, weil die Geschichte in Österreich eigentlich Standard ist. Derlei Zwischenrufe sind keineswegs rar:

>>Oh je. Bitte nicht wieder eine Debatte darüber was Kunst ist. Die Einzige Frage die da zu beantworten wäre ist: "Ist das Kunst oder kann das weg?"<<

Obwohl es in Österreich fast keine Kunstschaffenden gibt, die aus rein künstlerischer Arbeit ein angemessenes Jahresgehalt lukrieren können, obwohl die soziale Lage Kunstschaffender in Österreich desaströs ist, wie auch diverse Studien belegen, ist ein Auftreten als Künstler und ein Anspruch auf wenigstens kursorische Wahrnehmung dieser Profession als... (genau!) einer Profession offenbar etwas, von dem sich zahlreiche Menschen provoziert fühlen.

Auch die folgende Passage ist diesbezüglich anregend und aufschlußreich:

>>Eine Arbeit hat Wert wenn sie a) etwas verändert oder b) etwas offenlegt (was Du offenbar mit Deinem "long distance howl" erreichen willst) oder c) interessant ist oder d) Geld bringt. Oder alles. Oder keines davon. Und ob das Kunst ist oder nicht hat dabei keinen Einfluss - weil es für Kunst bis heute keine eineindeutige, allgemein anerkannte Definition gibt. Oder keine die ich kenne, ich habe das nicht studiert.<<

Der Mann schreibt zwar selbst, daß er in der Sache nicht sachkundig sei, aber er referiert (s)einen Kunstbegriff ausführlich. Gut, das kann einem Automechaniker in Österreich ebenso widerfahren und mein Arzt weiß ein Lied davon zu singen. Viele Branchen werden davon belebt, daß man der Fachkraft mißtraut (Abteilung "gesunde Skepsis") und sie gelegentlich so aufmuntert: "Also, ich versteh ja nix davon, aber das müßte eigentlich so gehen..."

Das obige Zitat beinhaltet eine besonderen Denkanstoß, quasi die Mutter aller Killerargumente in jedem nur denkbaren Kunstdiskurs:

>>- weil es für Kunst bis heute keine eineindeutige, allgemein anerkannte Definition gibt. Oder keine die ich kenne, ...<<

Das Argument ist natürlich keines, aber es killt verläßlich jede Debatte. Daran ist zweierlei besonders interessant:

1) Es gibt tatsächlich keine "allgemein anerkannte Definition", weil das Kunstfeld ein Metier ist, in dem wir Menschen über Jahrhunderte, nein JahrTAUSENDE, Verfahrensweisen der ästhetischen Erfahrungen und des Erkenntnisgewinns entwickelt haben, die genau auf dieses Paradigma, die "allgemein anerkannte Definition", verzichten lassen, ja vorsätzlich ohne dieses spezielle kulturelle Konzept auskommen.

+) Einschub: Ästhetik kommt vom griechischen "aisthesis", was Wahrnehmung bedeutet.

2) Selbst da, wo die "Regeln der Kunst" verhandelt, also auch Definitionen vorgenommen werden, herrscht intersubjektiv weitgehende Klarheit, daß wir Menschen über keinerlei Kunstbegriff verfügen, der über die Zeiten hinweg allgemein anwendbar wäre. (Wir müssen laufend neu verhandeln, was wir unter Kunst verstehen wollen.)

Wir haben es also bei der Kunst mit einem mächtigen "Erfahrungs- und Erkenntnisraum" zu tun, der überdies herkömmliche Hierarchiebildungen und Kumulierungen von Definitionsmacht mindestes enorm erschwert, wo beides nicht aus der Sache heraus weitgehend unmöglich ist.

Das verlangt letztlich sehr unautoritäre Zugänge, Erfahrung, Achtsamkeit. Künstlerisches Schaffen kann eben naturgemäß genau NICHT einer "eindeutigen, allgemein anerkannten Definition" unterworfen werden und bleibt stets unter Klärungsbedarf gestellt.

Darin könnte einer der Gründe liegen, warum offenbar keine Tyrannis, kein autoritäres Regime darauf verzichtet, Kunstschaffende entweder an die Kette zu legen, zu vertreiben oder gar zu töten.

Und genau DIESES, sagen wir: DEMOKRATISCHE, Potenzial der Befassung mit Kunst, egal ob als Künstler oder Rezipient, soll sich nun gegen mich wenden, wenn ich etwas bedächtigeren Umgang mit dem Genre und mit Begriffen einfordere? Da werden wir noch zu streiten haben...

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