6. Februar 2012 Ich komme
ein wenig ins Grübeln, wenn mir auffällt, daß ich mich eben über einen Stapel frisch
erworbener Geschirrtücher gefreut habe. Das ist irgendwie lächerlich. Zugleich ist das
aber so ein tiefsinniges Werzeuglein, ein Geschirrtuch. Ich bin sicher keine Autorität in
Haushaltsfragen. Aber wenn die Küche mich verschlingt, liegt mit Sicherheit so ein Tuch
über einer Schulter.
Ich bin kein Freund papierener "Küchentücher".
Allein diese Wortschöpfung erscheint mir schon dümmlich. Obwohl ich den Sinn verstehe.
Das Küchentuch wischt die Küche. Oder so. Derlei Küchentücher haben in meinem Haushalt
bloß eine Hauptaufgabe. Ich putze mit ihnen die Gläser von Bilderrahmen, wenn es
Richtung Ausstellung geht. Und wenn ich zu heftigem Schnupfen neigen würde, wüßte ich
auch, wozu mir die flauschig weichen, reißfesten Blätter nützlich wären. Aber in der
Küche brauche ich sie ganz und gar nicht.
Geschirrtücher aus robustem Leinen, das ist etwas ganz
anderes. Und beim aktuellen Lauf der Dinge fällt mir dann selbst auf, daß ich
gelegentlich an merkwürdigen Themen hängen bleibe, wo doch so viel nützliiche und
notwendige Arbeit zu tun wäre.
Manchmal hat mein Leben für Momente die Farbe
Weißburgunder. Vielleicht ergeben sich daraus auch derlei Geschirrtuch-Meditationen. Da
sind auf jeden Fall Zustände sanfter Fröhlichkeit. (Ich würde vorzüglichen Wein
niemals an schlechte Momente verschwenden.)
Nun hat doch noch ein Hauch von herkömmlichem Winter die
Stadt erreicht. Ich sollte mich also nicht nur nach Geschirrtüchern, sondern auch nach
mehr dicken Socken umsehen. Und ich denke über den Futurismus nach. Gut, das ist
eine Geschichte, deren Manifest vor rund hundert Jahren publiziert wurde. Das hat jetzt
nicht unbedingt etwas mit dem Winter zu tun.
Aus heutiger Sich erscheint mir Marinetti, der sich da so
verausgabt hat, eigentlich als ein Spießer. Bei meiner eben begonnen Erzählung über
"Die Gefolgschaft des
Ikarus" führt an den Futuristen freilich kein Weg vorbei, denn sie haben --
neben sehr ansehnliche Arbeiten -- die damals so frische Maschinenverliebtheit vorzüglich
und gut nachvollziehbar ausgedrückt. es ist exemplarisch.
Die These 5 des Manifestes lautet etwa: "5. Wir
wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, die
selbst auf ihrer Bahn dahinjagt." Was Marinetti für ein Schnösel gewesen sein
muß, wird in solchen Thesen deutlich: "9. Wir wollen den Krieg verherrlichen
diese einzige Hygiene der Welt -, den Militarismus, den Patriotismus, die
Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die
Verachtung des Weibes."
Es ist für die gesamte Erzählung aufschlußreich, daß
diese Orientierung des Marinetti und seiner Kumpane direkt in den Faschismus geführt hat,
dem er als Politiker dienstbar gewesen ist. Solche Leute triefen vor Pathos, wenn es darum
geht, daß andere mit großer Emphase sterben sollen etc.
Aber ich denke, genau das gehört auch zusammen betrachtet.
Maschinisierung und Mobilisierung als zentrale Ereignisse des 20. Jahrhunderts, zugleich
als Kernereignisse des historischen Faschismus. Wenn wir diese Zusammenhänge verstehen
und auch sehen können, in welchen Inszenierungen sich "der soldatische
Mann" bei uns gegenwärtig in zivile Varianten übersetzt hat, dann wird
allerhand greifbarer, das doch dem Reich des Irrationalen zugerechnet werden muß.
Ich hab mich selbst, was den Automobilismus angeht, längst
auf die Seite der Unerheblichkeit geschlagen. Vorige Woche war mein Mechaniker richtiggehend
gerührt, als er die milde Motorkraft meiner Langfuhre in seinen Unterlagen vermerkte. In
diesem Haus werden von ländlichem Klientel sehr viel stärkerer Autos bevorzugt.
Die Geschirrtücher, der vorzügliche Wein, die
Automobile... das ist ein Themenbogen, der schon fast ein Leben tragen kann. Die Kunst
wäre noch zu erwähnen. Na, die war mit Marinetti berührt, wenn so auch nicht anhand
eines glänzenden Beispiels.
Die 10er-These sollte ich noch erwähnen: "Wir
wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören und gegen den
Moralismus, den Feminismus und jede Feigheit kämpfen, die auf Zweckmäßigkeit und
Eigennutz beruht." Lustig! das war 1909. Und heute ringen in Graz
Kunstschaffende, daß Joanneum-Boss Peter Pakesch sie in dieses oder jenes Museum
hineinläßt.
Was sich so langsam zu einer kleinen Targikkomödie
entfaltet, habe ich hier ein wenig zusammengefaßt: [link] Es wird also spannend
zu erkunden sein, was denn in naher Zukunft für künstlerische und kulturpolitische
Positionen erfahren werden wollen, was sich in öffentlichem Diskurs äußert. Und falls
ich einmal hingehe, könnte ich ja einige Geschirrtücher mitbringen... |