2. Februar 2012 >>Zu
90 Prozent bleibe ich der Buchhandlung treu. Erstens aus geschichtlicher Dankbarkeit: Sie
ist die wichtigste Wiege der Zivilisation.<<
So beginnt eine Kolumne von Helmut A. Gansterer. Ich hätte
in diesem kleinen Text weit mehr als nur das zu unterschreiben. In seinem Nachdenken über
den Wert eines Satzes notiert er eingangs:
>>Die literarischen Salons, die mit dem Aufkommen
der Republiken niedergingen, waren eine gute Einrichtung. Sie wurden von Müßiggängern
beider Geschlechter bespielt, die sich von heutigen Faulenzern unterschieden wie Libellen
von Wanzen.<< [Quelle: profil]
Man muß einrechnen, das waren die kulturellen Spielräume
gut situierter Leute. Aber Gansterers Gedanken zielen nicht auf eine Debatte des Sozialen,
sondern auf Fragen eines geistigen Klimas. Die Seite enthält eine Art Teststreifen zur
Positionsbestimmung:
Wer mit dieser Passage nichts anfangen kann, ist in einem
anderen Denkraum zuhause. Es ist gelegentlich unverzichtbar, so etwas über jemanden zu
wissen, weil diese Differenz der Standorte in manchen Situationen nach Übersetzungsarbeit
verlangt.
Unter den vielen Facetten von Humor schätze ich die
Selbstironie besonders. Österreichs Tagesgeschehen ist davon leider nicht gerade reich.
In den letzten Tagen war viel Erregung um eine allerdings bestürzende Angelegenheit. Der
vaterländische Strache soll sich und seine Leute als die "neuen Juden"
bezeichnet haben, so der Ausdruck seines Gefühls von Verfolgtheit, berichtet "Der
Standard": [link]
So ekelhaft das daher kommt, es ist doch bloß die
Doublette einer Doublette rhetorischer Wendungen, wie wir sie von der "Neuen
Rechten" seit den 1980er-Jahren kennen. Gründliche ausgearbeitete Strategien
und eine große Portion Chuzpe, wahlweise Brutalität, was eben gerade gefordert ist. Der
Coup, sich politisch zu rehabilitieren, ist offenkundiug europaweit gelungen.
So drückt sich unter anderem eine Verachtung aus, welche
Antisemitismus und dessen Duldung bündelt. Was an einer Ecke dieser Geschichte so
ärgerlich ist, möchte ich als schleichende Bankrotterklärung der Gegenpositionen
verstehen. Daß der Vaterländische nun als "rücktrittsreif" erklärt wird,
daß es Petitionen und Proklamationen hagelt, die seinen Rücktritt fordern, verrät eines
der Probleme; daß wir nämlich neben solchem Geschrei nur wenig aufzubieten haben.
Lassen wir beiseite, daß es derlei Rücktritte nicht gibt
und in der Zweiten Republik wohl auch noch nie gab. Sehen wir darüber hinweg, daß gerade
aus den Reihen der Vaterländischen in den letzten Jahren allerhand politisches Personal
sich wegen möglicher Malversationen behördlichen Untersuchungen ausgesetzt sieht, was
keinerlei Rücktritte bewirkt hat. Was sollen also diese Zurufe? Sie sind Karaoke.
Dieser Beitrag des Vaterländischen auf Facebook
illustriert, was wir geschehen ließen. Ein über Jahrzehnte schlampiger bis bewußtloser
Umgang mit der Zuschreibung Faschismus macht es möglich, daß der Bursche sich als
"Faschismus-Opfer" kostümieren kann. Da hat es so oft
"Alltagsfaschismus" geheißen und wurde dies wie das als "faschistoid"
etikettiert, da haben wir hier wie dort Faschisten gesehen, ohne eigentlich sagen zu
können, was genau das meint: Faschist.
Statt nun in den Alltagsdiskursen längst Boden gewonnen zu
haben und statt bei einer Legion von Opinion Leaders erreicht zu haben, daß sie sich
einem öffentlichen Diskurs verpflichtet fühlen, der sowas keinesfalls zuläßt, wächst
die Mausklick-Demokratie und die Petitionswirtschaft. Das Salzamt muß demnächst
ausgebaut werden und braucht Personalzuwachs, um die Flut von eingehender Post zu
entsorgen.
Die Demokratie hat es verdient, daß man ihr den Alltag
sichert. Das wird sich in den kommenden Jahren vermutlich anstrengend gestalten, weil
allerhand Versäumnisse aufzuarbeiten sind. Am besten, gar nicht erst bis morgen damit
warten... |