31. Jänner 2012 Wenn ich
diese Linie "Die Gefolgschaft des Ikarus" genannt habe, dann mache ich
damit geltend, daß wir seit der Antike erkennbar auf der Seite der Unvernunft stehen.
Seither wissen wir es zumindest, weil es entsprechende Überlieferungen gibt.
Ikarus ist der hoch Fliegende, den seine Emotionen in den
Tod geführt haben. Darin ist er übrigens der legitime Bruder des Phaeton, dem es genau
so erging. Bloß daß der sich mit dem Wagen seines Vaters zu Tode gebracht hat. Ikarus
der Sohn des klugen Daedalus. Phaeton der Sohn des mächtigen Helios. Der Flieger und der
Fahrer. Jeweils eine kühne Tour und aus.
Damit ist nicht gesagt, daß ich von dieser
Seite der Unvernunft aus die Seite der Vernunft anfechten würde. Ich mach bloß geltend,
daß wir für beides ausgelegt sind. Das
nebenstehende Bild zeigt eine Vater-Sohn-Situation von weit weniger Brisanz als die
eingangs beschriebenen aus der griechischen Mythologie.
Vor rund 19 Jahren hatte ich so meinen Sohn Gabriel
aufgepackt, wenn ich Runden um Gleisdorf machte. Er neigte dazu, in dieser Pose ziemlich
schnell einzuschlafen.
Das paßt auch auf sehr grundsätzliche Art zum Thema
dieser kleinen Erzählung. Es ist ja unsere erste Erfahrung, um in der Welt zu sein:
Passagier zu sein. Das bedeutet überdies, unsere Mütter sind unsere ersten Vehikel. |
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Diese Sprachregelung ist
freilich etwas problematisch. Ich gehe davon aus, daß Frauen die Vorstellung, als Vehikel
zu gelten, nicht begrüßen. Aber die Erfahrung, ein Passagier zu sein, ist doch
fundamental.
Im durchmessen der letzten drei Jahrzehnte ist
dieses Fahrrad quasi Krisenintervention #2. Ich war davor diesem unachtsamen LKW-Fahrer
auf meiner 750er Enduro in die Quere gekommen [link] Es
ging gemeinsam über mehr als 20 Meter, bis er endlich auf mir zu stehen kam. Das war
Mitte Mai, im November sollte mein Sohn zu Welt kommen.
Ich war nach Intensivstation und Reha in einem viel zu
schwachen Leib zuhause und suchte einen praktikablen Weg, um in den verbleibenden Monaten
so viel Kraft zu gewinnen, daß ich das Baby würde verläßlich im Arm halten können.
Dieses Maschinchen bewährte sich dabei. Und wie man oben
sehen kann, habe ich den Kleinen sehr bald zum Passagier gemacht. Er war inzwischen so
freundlich, eine Tendenz zum Motorrad auszusetzen und auf direktem Weg ein solides
Automobil anzusteuern.
Damit sind mir bis auf weiteres jene Sorgen erspart worden,
die ich allein aus meiner eigenen Biografie zu schöpfen wüßte, denn ich war in der
Sache unbelehrbar und selbst weitere Motorradunfälle konnten mich bis vor einigen Jahren
nicht dazu bewegen, diese brisante Gefahrenzone zu verlassen.
Aber es liegt ein tiefer Schrecken in diesen Vorgängen,
der nicht mehr aus der Seele zu bringen ist. Und der Leib ist so, daß er beizeiten die
Abzüge, Schmälerungen, Beschädigungen nicht mehr auszugleichen vermag. Das sind demnach
hohe Preise für solche Unbändigkeit, von denen ich inzwischen weit mehr gezahlt habe,
als nach meinem Geschmack ist.
Deshalb hat sich ein Stück Vernunft durchsetzen können
und das Unbändige ist mir auf eine symbolische Ebene gekommen, in eine Zone der Recherche
und Reflexion, des Suchens und Sammelns, um auf dem Weg eine Skizze jener
Mobilitätsgeschichte aufzublättern, innerhalb derer sich all das ereignet hat.
Das ist für mich vor allem eine Geschichte der etwa
letzten 200 Jahre. Eine Epoche, in welcher wir als Kultur und Gesellschaft
Beschleunigungen erfahren haben, die so in der Menschheitsgeschichte ganz neu waren. Es
weist nichts darauf hin, daß wir dem Tempo, zu dem wir heute fähig sind, inzwischen
gewachsen wären.
[Die Gefolgschaft des Ikarus] |