19. Dezember 2011

Oh was für anregende Zeiten! Was mich gelegentlich müde macht, ist -- neben dem einen oder anderen Fläschchen Gelbem Muskateller -- jene Fülle an Überlegungen, welche sich aus diesen und jenen Debatten ergeben.

Das Landeszentrum Graz war für mich heuer vor allem das Zentrum einer Art "Hoppala- Aktionismus", der mich vermutlich stört, naja, nicht wirklich, aber auf jeden Fall manchmal etwas nachdenklich stimmt.

Das Allerdümmste, was mir da untergekommen ist, war heuer eine "Oase des Aufstandes". Es ist etwas obszön, vor unserem eigenen zeitgeschichtlichen Hintergrund, vor der Nähe der letzten Jugoslawienkriege und der Ferne des "Arabischen Frühlings" die Aufstandsmetapher auch nur für irgendetwas Liebliches zu strapazieren.

In derlei Blödheiten sind sich hier heutzutage schon mehrere Generationen einig. Ich will mir das gar nicht erst erklären. Es riecht zu sehr nach der Bequemlichkeit einer Konsumgesellschaft, deren Konsumieren vor das Erarbeiten von Themen geht. So werden dann ansehnliche Bilder geklaut und umgekupfert.

Was solches Aktions-Gehopse nach sich ziehen kann, hat der in seinem Denken sehr radikale und in seinem Schreiben sehr inspirierende Gene Sharp [link] in seiner Schrift "Self-Liberation" zum Stichwort "Seeking in-depth knowledge" etwas blumig so skizziert:

>>Attempting to plan strategies for a future nonviolent conflict without adequate background and knowledge is like an eager young student going into a chemistry laboratory, and randomly mixing unknown elements and compounds together, without studying the books on chemistry first. Without in-depth knowledge of nonviolent action persons recommending a certain course of action are likely to cause great damage to the movement.<<

Die Suche nach fundiertem Wissen wird von manchen Leuten, die gerne unsere Gesellschaft verändern möchten, offenbar nicht mehr als plausible Aufgabe betrachtet. Das wäre ungefähr, was ich gerne als "Verschnöselung" bezeichne. Der Begriff kommt von "Schnösel". Unter einem Schnösel stelle ich mir keinen bösen und keinen übelwollenden Menschen vor, sondern jemanden, der aus großer Selbstergriffenheit heraus minimalen Kenntnissen, Wissensrudimenten vertraut und sich damit bedenkenlos auf jedes Thema, jede Aufgabe stürzt.

Schnösel sind mir deshalb so unangenehm, weil sie es derart gut meinen und daher einfach nicht verstehen können, daß gegen ihr Denken oder Tun Einwände möglich wären. Der Schnösel ist der Idiot der Gegenwart. Im antiken Griechenland verstand man unter den "Idiotes" Privatpersonen, Leute, die nicht am öffentlichen politischen Leben teilnehmen; in weiterer Deutung: Menschen, die an der Welt kein Interesse haben, nur mit sich selbst befaßt sind.

Das waren freilich Menschen in einer Gesellschaft, die überhaupt nur kleinen Minoritäten "Logos" und Teilhabe am öffentlichen Leben zubilligten, wofür der Rest des Volkes, nicht zuletzt viele Sklaven, sich krummlegen durften.

Heute sind ja mindestens bei uns Lebensstandard, Freiheit der Rede und eher niedrigschwellige Zugänge zu Bildung und öffentlichem Leben für weiter Bevölkerungsteile so entwickelt wie nie zuvor. Siehe da, wir sind geneigt, auf vieles davon mehr zu verzichten, als es zu fordern und zu verteidigen.

Gehen Sie davon aus, daß mir sowas sehr mißfällt.

In einer sehr interessanten Debatte mit dem Architekten Winfried Lechner und dem Medienfachmann Heinz Wittenbrink [link] brachte mich Wittenbrink auf des bemerkenswerte "Cluetrain Manifesto": [link] Darin heißt es an einer Stelle:

>>38 Menschliche Gemeinschaften entstehen aus Diskursen -- aus menschlichen Gesprächen über menschliche Anliegen.<<

Das, falls man zustimmt, gibt der Frage nach Teilhabe am öffentliche kulturellen und politischen Leben schon eine eigentümliche Brisanz. Und dabei wiederum der Frage nach Fähigkeiten sich auszudrücken, seine oder ihre Gründe zu nennen.

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