29. November 2011 Prigov
bei den Minoriten in Graz. Natürlich nur sein Werk. Er selbst ist nicht sehr alt
geworden. 1940 in Moskau geboren, 2007 gestorben. Ein Samizdat-Autor und bildender
Künstler.
Mirjana Peitler-Selakov sagte einmal, im Westen habe sich
die Kunst während des 20. Jahrhunderts gegen den Markt wehren müssen, im Osten gegen das
Regime. Wenn aber nun im Westen, wie wir erleben, der Markt sich sehr erfolgreich bemüht,
mehr und mehr Regime zu sein, was mag das für die Kunst bedeuten?
Dieser Abend war auch ein Wiedersehen mit Sabine Hänsgen
von den "Kollektiven Aktionen". Wir hatten uns eben erst an der Donau
getroffen, bei Beograd: [link]
Sie ist eine Frau, die mir immer wieder auf ganz vergnügte Weise zeigt, was im Umgang mit
der Kunst Präzision und Weite bedeutet, nein, besser gesagt: Tiefe.
Eine dümmliche Geschwätzigkeit, wie sie in meinem Milieu
keinesfalls ausgeschlossen ist, wäre da völlig undenkbar. Aber nicht aus Betulichkeit,
sondern weil bei ihren Leuten offenbar der Wissensdurst so groß ist. Wenn ich mit
Akteuren der "Kollektiven Aktionen" im Gespräch bin, merke ich, daß
sie sehr genau wissen, wovon sie reden, weil sich darin vor allem zweierlei bemerkbar
macht: Eine Fülle des Erlebten und der Reflexion.
Erlebtes und der Reflexion. Dazu ästhetische Erfahrungen.
Also: Wahrnehmungserfahrungen. Ich habe kürzlich in einer frischen Grazer Streitschrift
folgende Forderung gelesen: "Keine Reduktion der Kunst auf ästhetischen
Betrachtungen".
Das läßt mich ziemlich ratlos. Ich denke, daß wir zwar
in unserer Sprache stets mit Bedeutungswandel rechnen müssen, daß wir aber schon das
gesamte 20. Jahrhundert die Konvention haben, "Ästhetik" bedeute -- ganz im
antiken Wortsinn -- die menschliche Wahrnehmung und deren Grundlagen. Was also bedeutet
diese Forderung?
Bliebe außerdem zu fragen, wer denn dazu neigt, die Kunst
zu reduzieren? Auf was auch immer! Und wie das gehen soll? Ich weiß es nicht. Diese
Option bleibt mir rätselhaft. Gut, am Status quo des Kunstdiskurses, wie er derzeit in
Graz wenigstens für Momente laut wird, werde ich nicht schlau. So viel ist klar. Aber das
kann ja noch werden.
Zurück zu diesem Grazer Ereignis, "Zuckerkreml.".
Ich hab fort auch erlebt, daß Darling Vladimir Sorokin, hier rechts neben seinem
Dolmetscher, sich vor dem Publikum wie eine bescheuerte Primadonna geriert hat. Das war
fast amüsant. Er entschädigt für solches Getue wenigstens mit Texten, die zu erwarten
sich lohnt. Siehe zu all dem auch den Eintrag auf der Website von "kunst
ost": [link]
Aber für alles Merkwürdige des Abends hatten mich anfangs
schon die Gedichte der Elena Fanajlova entschädigt und gegen sein Ende die Werke von
Prigov. Mein praktischer Erfahrung weist darauf hin: Wenn Kunst ist, wenn Kunst eintritt,
wenn Werke das auslösen, dann ist eine leichtfertige Reduktion dessen auf was auch nimmer
eigentlich nicht möglich. Rezeption findet statt oder findet nicht statt.
Was allerdings der Betrieb ist, was die Inszenierungen
sind, allfälliges Getue, was darauf zielt, sich Werke auf eventuell unredliche Art
nutzbar zu machen, das schadet vielleicht gelegentlich den Kunstschaffenden; was es an der
Kunst anrichten soll, erschließt sich mir nicht.
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