15. Oktober 2011

Die Tage sind zu kurz. Oder die Fülle ist zu reichlich. Ich werde mich nicht beschweren. Das Geld zerrinnt mir zwischen den Fingern. Aber auch nicht wenig davon als Kaffee in meinem Rachen. Und endlich ist die Sonne wieder heraußen. Die Donau liegt zu meiner Linken, breit wie ein See. Selman Trtovac balanciert am Rande irgendeines Abgrundes, damit die Dinge in Gang bleiben.

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Sergej Letov

Da wäre zum Beispiel noch das "Mama-Mama-Problem". Die Frage verschiedener Steckverbindungen, damit Sergej Letov sein "electronic device", keine Ahnung, welche Summe an Instrumenten damit substituiert wird, mit dem vorhandenen Verstärker verbunden bekommt.

Heute Abend wird im Haus von "treci beograd" eröffnet. Ein weiteres Beispiel für meine private Serie "Vom Balkan lernen". Zuhause verfallen meine Leute in Schreckstarre, weil der Staat die Budgets kürzt und ein erheblicher Teil Kulturschaffender Österreichs keine Vorstellung hat, was zu tun sei und wie es zu tun wäre, wenn öffentliche Mittel völlig ausblieben.

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Sergej sagte zu diesem Thema grinsend: "Ich bekomme keinen Rubel von meiner Regierung." Die hat nämlich andere Wohltaten zu vergeben. Etwa ein paar Monate Knast, wenn man jemandem von Rang gerade im Wege herumsteht. Wir führen Debatten über all das auf dem Terrain der Demimonde.

Der Koch, die Kellner, der Manager und der Boss sind äußerst freundliche und zuvorkommende Leute. Die auffallend austrainierten Oberarme einiger Jungs müssen ja nichts bedeuten. Und daß einer der Kellner, wie sich im Gespräch erwies, Arkan gut gekannt hat, muß natürlich auch nichts bedeuten. Aber daß die Betreiberfirma des "Dunavski Pirat", dessen Annehmlichkeiten wir genießen, "T. Montana Association" heißt, entstammt sicher einem Moment, in dem sich die maßgeblichen Leute scheckig gelacht haben. (Der Firmenname steht unübersehbar auf den papierenen Sets, die zu den Gedecken gehören.)

Tony Montana ist der zentrale Charakter, den der junge Al Pacino in Brian De Palmas Film "Scarface" gegeben hat. Es heißt, daß diese Filmfigur mit ihrem Lebensstil das hoch geschätzte Rollenmodell für viele reale Gangster und Racketeers abgegeben habe.

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Als ich gestern Abend diese Lieferung im Stiegenhaus entdeckte, dachte ich, man würde für Touristen einen kleinen Laden einrichten. Keineswegs! Die Tonwaren gehören, neben dem vorzüglichen Gemüse, zu den Betriebsmitteln des Hauses.

Aber zurück zu einigen anliegenden Fragestellungen. Fragen zur Kunst und zum Kunstbetrieb werden ja auch zur Session gehören, die wir nächste Woche in Gleisdorf realisieren; als Folgeschritt zum Ereignis in Beograd: [link]

Im Web 2.0 hat Musiker Oliver Podesser gestern gemeint: "sorry aber als kulturschaffender nur noch als dienstleister funktionieren zu müssen geht se eigentlich net aus". Medienberater Karl-Heinz Leiss schrieb darauf: "@oliver: wenn der kulturschaffende zum dienstleister wird, hat die kunst schon aufgehört zu existieren ..."

Ich möchte eigentlich davon ausgehen, daß die Kernbereiche der Kunst von diesen Überlegungen gar nicht berührt werden. Was die Frage- und Aufgabenstellungen der Kunst sind, die Strategien der Kunst und der künstlerischen Praxis, wird ja nicht zwangsläufig auf dem Markt entschieden. Auf dem Markt löse ich meine ökonomischen Probleme, aber keine der Kunst.

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Von links: Anica Vucetic, Selman Trtovac und Mirjana Peitler-Selakov

"How to make a living" ist eher keine Themenstellung der Kunst, sondern ein soziales Problem. Kulturschaffende haben dagegen andere Aufgabenstellugnen. Das inkludiert ja durchaus jene der herkömmlichen Dienstleistung. Kunstvermittlung, Veranstaltungsgeschehen, Öffentlichkeitsarbeit, Lobbyarbeit für Kunst und Kultur, das erledigen wir überwiegend mit den ganz konventionellen Mitteln der Dienstleistung.

Ohne Frage können die Erfahrungen aus diesen und jenen Genres eine Wechselwirkung entfalten. Ich halte gerade das für wünschenswert. Ein Künstler, der sich ausschließlich seiner künstlerischen Praxis widmen möchte, keinen anderen Tätigkeiten, müßte mir erst einmal erklären, wie er sich sein Eintreten für eine strikt arbeitsteilige Welt genau vorstellt und was ihn dann genau von jenen Aristokraten und/oder Priestern unterscheiden würde, die es einst ganz selbstverständlich fanden, daß sich unzählige Bauern und Hilfskräfte krummgeschunden haben, damit sie sich unbehelligt ihren "höheren Aufgaben" widmen konnten.

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Sergej Letov, Mirjana Peitler-Selakov und Sabine Hänsgen

Das ergibt also sehr interessanten Diskussionsstoff. Denn ein satt ausgestattetes Leben mit entsprechend hohem Jahreseinkommen müßte ja, wollte man sich nicht vollkommen vom Staat abhängig machen, auf dem Markt erwirtschaftet werden, an dessen Grundprinzip des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage sich nichts zu ändern scheint. Daher meine Frage: Wie hätten wir es denn gerne?

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