30. August 2011 Wie erstaunt war ich, auf so ein kleines Besteck zu stoßen. Ein
Hybrid aus Löffel und Gabel, zwei Teile, zusammensteckbar. Reiseausrüstung? Nein. Die
Beigabe zu irgendeiner Fruchtcreme.
Ich lebe unübersehbar in einer ziemlich absurd
ausgestatten Welt. Das führt nun nicht gleich dazu, meine Wohnung in eine Mönchsklause
zu verwandeln. Aber es bleibt doch eine erhebliche Irritation von all dem Ramsch.
Kaufkraft. Man muß es laut aussprechen, um einen Eindruck zu bekommen, wie merkwürdig
dieses Schlüsselwort unseres Wohlstandes ist: Kaufkraft.
Ich weiß schon. Mantras abzusingen ist kein genuiner
Bestandteil unserer Kultur. Ha! Lustige Vorstellung. Wenn man dem einmal genauer nachgeht.
Was würde auf einer "Shortlist" landen? Nämlich als genuiner Bestandteil
unserer Kultur. Leute zu massakrieren würde auf jeden Fall dabei genannt sein.
Ich hab erst kürzlich wieder jemanden allen Ernstes sagen
hören, Adolf Hitler habe bis in die 1950er-Jahre gelebt, beim Bunker sei ein Double
verbrannt. Ich habe jemanden sagen hören, daß Mächte wie die USA in der Lage seien,
Erdbeben zu initiieren, so habe man Japan gerade zur Räson gebracht, was allerdings nicht
ohne gewisse Streuung zu schaffen wäre, weshalb es dann manchmal auch jenseits der
gewünschten Zielorte krachen würde.
Ich hab eben erst gehört, daß das serbische Volks auf
rund siebentausend Jahre Geschichte zurückblicke und daß Alexander der Große, den wir
als Makedonier betrachten, einen serbischen Nachnamen gehabt habe. (Ich zweifle ein wenig
daran, daß man es rund 350 vor Christus gar so sehr mit Nachnamen gehabt habe.)
Aber es kommen mir zur Zeit ohnehin etwas zu viele Dinge
durcheinander. Manchmal scheine ich das Talent für recht merkwürdige Krisen zu haben.
Während ich die Arbeit an einem Buch abzuschließen hatte, das ich in Kooperation mit dem
Historiker Matthias Marschik verfaßt habe, wütete eine Unruhe in mir, die sich auch in
physischer Belastung äußerte.
Ich wußte natürlich, was ich berühre, nein, was MICH
berührt, wenn so eine Route anliegt: Vukovar, Potocari, Srebrenica, Sarajevo. Das rundet
die Fahrten der jüngeren Vergangenheit. Omarska, Kozarac, also Bosnien, aber auch Racak
und der Dulje-Paß im Kosovo.
Manchmal drückt es einen vor Ort nieder oder läßt einen
in Tränen vom Feld gehen. Immer aber taucht Tage später etwas an Nachwirkungen auf, die
sehr diffus bleiben. Unsere Leute haben all das auch in Kauf genommen. Wenn die
"Normalität" plötzlich Pause macht und das Töten beginnt.
Solange eine Gemeinschaft es zuläßt, daß es im
öffentlichen Reden gegen "Andere" geht, sind wir nicht in Sicherheit. Das ist
vielleicht ein wesentlicher Teil meiner Unruhe. In Berührung mit gewesenen Massakern
klingt etwas an, das deutlich macht, wie weit wir es schon wieder kommen ließen.
Das ist eine der möglichen Varianten. Wenn die kulturellen
Normen, die Konventionen eines Tages nicht mehr verläßlich halten, kann es sein, daß
man von einer Soldateska an etwas entlegene Orte verbracht wird. Der LKW fährt dann leer
zurück. |