26. Juli 2011 Ich war sicher, das Thema langsam angegangen zu sein. Und nach wenigen Schritten
passierte mir schon die übliche Boulevard-Blödheit. Nach einer ersten, flüchtigen
Durchsicht der skurrilen Streitschrift von Anders Behring Breivik hatte ich mich
hinreißen lassen, im Web zwo eines der darin enthaltenen Bilder zu publizieren und zu
kommentieren.
Breivik sieht darauf aus wie ein Oberkellner, dessen Anzug
und Schürze mit Zeichen bestickt sind, die er sich für seine Privatmythologie aus
verschiedenen Bezugssysteme herausgeschnitten hat. Autor Christian Ankowitsch mahnte mich
sanft: Martin, ich würde das Bild und die Details zu diesem Menschen am besten
an der tiefsten Stelle des Meeres versenken. Wir sollten ihm nicht den Gefallen tun, und
seine Ikonographie besprechen. Das will er. Wir sollten ihm den Wunsch nicht
erfüllen.
So ist es! Breiviks Gesicht sollte aus der Öffentlichkeit
völlig gelöscht werden. Als allererste unerbittliche Antwort auf das, was ihm vermutlich
bewiesen werden kann. Nein, ich halte die Unschuldsvermutung für keine leere
Geste, sondern für ein zivilisatorisches Gut. Sie ist schon in sich der Anspruch auf ein
ordentliches Verfahren, den wir nicht einmal für Augenblicke verwässern sollten.
Drehen Sie es, wie sie wollen, Breivik ist tatverdächtig,
er ist offenbar schwer belastet, aber gerade in so einem Fall sollten Justiz und
Gesellschaft größten Wert auf ein beispielhaftes Gerichtsverfahren legen. Auch das
wäre ein weiterer Akt, sich gegen jede Präsenz von Barbarei abzugrenzen.
Apropos abgrenzen! Es wimmelt schon von psychologischen
Befunden. Wahn, Wahnsinn, Wahnsinniger, "Die Bestie von Norwegen" etc.
Es sind die Tage, wo wir "Normalos" uns das Leben ein wenig als
"Geisterbahn" dekorieren.
Ich nehme zwar an, daß der Täter von Oslo und Utøya uns
nach eingehender Befassung als pathologische Person vorgeführt werden wird. Aber was sagt
uns das? Eben! Wenig bis nichts. Es könnte uns auf jeden Fall darauf hinstoßen, daß es
zwischen "Normalität" und dem "Abnormalen" keine scharfen Grenzen,
nur sehr durchlässige Zonen gibt.
Die Vorstellung, daß jemand, mit hoher Feuerkraft
ausgestattet, auf einer Insel Jugendliche jagd, erlegt, Verletzte mit einem
"Fangschuß" erledigt, ist ja ziemlich gespenstisch. Aber was sagen unsere
Erfahrungen? Weist zum Beispiel etwas darauf hin, daß die Täterinnen und Täter der "Mühlviertler Hasenjagd"
eine psychopathische Ausflugspartie waren? Müssen wir annehmen, das "Massaker von
Rechnitz" habe sich ereignet, weil eine geschlossene Anstalt auf
Firmenausflug gewesen sei?
Das glaube ich nicht!
Wenn unter "Normalos" die Normalität Pause
macht, ist gelegentlich sehr viel mehr, nämlich Schlimmeres, möglich, als wir uns meist
eingestehen möchten. Naheliegend, daß wir dort Grenzen ziehen, wo jemand sich selbst
oder andere verletzt. Doch schon wenn es darum geht, jene Schmerzreaktionen wahrnehmen zu
können, die uns erreichen, wenn wir andere kränken, verletzen, demütigen, zeigt sich,
daß wir wohl alle mit zunehmender Lebenserfahrung erstaunliche Toleranzen an uns
feststellen können.
Der Täter, von dem sich ein Teil der Welt gerade sehr
bewegt zeigt, ist also möglicherweise nicht gar so weit außerhalb dieser wie jener
Grenzen dessen, was wir uns gegenseitig als "Normalität" versichern.
Gerade die Durchlässigkeit der vermuteten Grenzen halte
ich für einen wichtigen Hinweis darauf, wie sehr wir darauf achten müssen, was eine Brutalisierung
öffentlicher Diskurse und folglich der ganzen Gesellschaft für Konsequenzen haben
können.
Genau in dieser Frage sind uns nun allerhand
vaterländische Formationen, aber ebenso etablierte Großparteien, Rechenschaft schuldig.
Mache Funktionstragende überschlagen sich ja momentan gerade vor Empörung darüber, daß
sie mit dem möglichen politischen Hintergrund von Breivig assoziiert werden.
Beispiel: "Botz wollte mit der Tragödie von
Norwegen gezielt Stimmung gegen die Freiheitlichen machen. Zu erklären, wer kritisch
gegenüber Islamisten und ungezügelter Zuwanderung ist, bereite den Nährboden für
verrückte Amokläufer, ist falsch und extrem unwissenschaftlich", zeigt sich
FP-Klubchef und stellvertretender Bundesparteiobmann Mag. Johann Gudenus entsetzt."
(Quelle: OTS)
Der entsetzte Gudenus zeigt sich auf kurioser Seite
empfindlich. Ich bin freilcih auf diese Assoziation der Vaterländischen mit dem
norwegischen Amokläufer gar nicht angewiesen. Ich brauche mir bloß dokumentierte Reden,
Wahlkampfschriften und allerhand andere mediale Archivalien ansehen, brauche nur Nachschau
zu halten, in welchen Worten da über angebliche Feinde unseres Wohlergehens gesprochen
und geschrieben wurde.
Voilá! Da sind sie, die Wegbereiter der Tyrannis, die
Totengräber jener Anforderung an umfassenden Gewaltverzicht, welche ein Fundament der
Demokratie ausmacht.
Ich brauche keine Monster aus dem Raritätenkabinett, um zu
begreifen, wovon das Massaker von Utøya handelt. Die Spaliere am Wegesrand zu solchen
Gewaltausbrüchen haben wir quer durch Europa gepflanzt, gehegt und gepflegt. Die
"Normalos" gießen fleißig die Wurzeln, was ein prima einbträgliches Geschäft
ist, und wenn's wieder einmal kracht, muß halt jemand die Leichen wegräumen... |