15. Juli 2011

Ich lese, daß Rating-Agenturen drohen, die Bonität Amerikas herabzustufen. Und Provinzen Chinas stünden vor der Pleite. Bleibt also die Frage: Wer hat all das Geld? Wie spaßig! Unsere Vaterländischen zerreißen sich dafür, den Nationalstaat a la 19. jahrhundert zu restaurieren, samt den Ideologien von damals, all das gegen andere Staaten und diverse "Horden" abzuschotten.

Dabei könnte einem auffallen, daß ganz offenbar Nationalstaaten nicht mehr jene Institutionen sind, die Wohlstand sichern können, denn -- siehe zum Beispiel Amerika und China -- sie haben das Geld nicht. (Das haben anscheinend inzwischen Privatleute.)

Dann geistern da noch bescheidenere Rätsel durch meinen Alltag. Warum bekomme ich eine erstaunliche Auswahl an Klappstühlen und Campingstühlen zu sehen, wenn ich nach einem Klapphocker gefragt habe? Klapp. Hocker. Keine Armstützen, keine Rückenlehne. Klapphocker.

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Es sind hier links, neben Künstlerin Eva Ursprung, zwei Arten davon zu sehen, wobei ich jene mit der flexiblen Stoffbespannung für unsere Zwecke bevorzuge. Rechts Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov. Es war ein Abend der "talking communities" im Rahmen des "FrauenMonats": [link]

Es gibt sie schon seit der Antike. Die Klapphocker und -stühle. Ich erfuhr von Sarah Wolfmayr: "ursprünglich ein stuhl des römischen magistrats, sella curulis genannt (klingt auch viel wichtiger als klappsesserl), etruskischer herkunft, sehr hübsch, hatte seinen aufschwung z.zt. napoleons und des empire"

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Einige Tage vor der Session mit Eva Ursprung hatten wir die Fachtagung zum Thema "Frauen, Macht und Technik" realisiert. Nun dürfte etwas anschaulicher und klar geworden sein, auf welche Art wir es bevorzugen, künstlerische Vorhaben und verschiedene Themenstellungen, die in diesem Lebensraum Relevanz haben, mit einander zu verknüpfen.

Ich habe auf der Website von "kunst ost" gerade skizziert, was gemeint ist, wenn es heißen muß, "gegen stagnation und kompetenzverlust" anzugehen: [link] das meint auch: "sommerpause? keine sommerpause!": [link]

Das ist natürlich zur Zeit AUCH ein Rennen um Konsolidierung und Stabilität, wo vor allem jenseits von Graz erst Budgets, dann Strukturen des Kulturbetriebes wegzubrechen begonnen hatten. Kommunen haben sich ganz pragmatisch darauf zurückgezogen, eingesessene Kultureinrichtungen zu stützen, für den restlichen Sektor ist momentan nichts, so gut wie nichts geblieben.

Die Debatten um den Status quo haben eines klar gemacht, daß nämlich Kunst und Kultur auf dem Lande vorrangig und vor allem als ein "Veranstaltungswesen" verstanden werden. Polemisch verkürzt: Das künstlerische Tun sei ein Privatvergnügen und dessen öffentliche Präsentation eine edle Tat der Gesellschaft, aber weder so wichtig, noch gar verpflichtend, daß man es auch nur annähernd im vertrauten Umfang aufrecht erhalten müsse, falls in "wichtigeren" Bereichen das Geld knapp werde.

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Kein Zufall, daß dann in der Regionalpolitik vor allem auf jene Art polarisiert wird, die simpel erscheint und als für alle Menschen nachvollziehbar gilt: Soziales = wichtig und unverzichtbar. Kunst & Kultur = nett, muß aber für offene soziale Budgetbelange zurückstehen.

Das ist nicht nur eine infame Verkürzung und Ausdruck weitreichenden Unverständnisses, womit man es beim Themas Kunst & Kultur überhaupt zu tun hat, das ist auch ein weiteres Beispiel, wie sich österreichische Realpolitik dem Boulevard andient.

Ich denke, wir haben noch eine lange Strecke zu bewältigen, um eine breitere Kenntnis davon durchzusetzen, daß wir Kunst- und Kulturschaffenden ein zentrales Feld menschlicher Gemeinschaft repräsentieren, in dem grundlegende Kompetenzen und deren feine Varianten erarbeitet und erprobt werden.

Wahrnehmung. Denken. Reflexion. Jenen "Flow" erreichen, in dem jemand zu neuen Lösungen findet. Ich bin nicht der, von dem Sie das nun angetragen bekommen. Hören Sie sich in der Welt der Wirtschaft um. Es scheint so zu sein, daß herkömmliche Bildungseinrichtungen nicht mehr in der Lage sind, junge Menschen zu diesen Fähigkeiten anzuleiten.

Es scheint so zu sein, daß selbst die engagiertesten Lehrerinnen und Lehrer früher oder später aufstecken, weil ihnen bürokratische Vorgaben und andere Einengungen die Kraft und die Zuversicht nehmen.

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Unterm Strich kommen dann Legionen jener jungen Leute heraus, die der Schilderung eines Klapphockers ratlos gegenüber stehen, die, wie mir mein bevorzugter Kaufmann erzählt, am Kaufmännischen scheitern, weil ihnen die vier Grundrechnungsarten ein Rätsel bleiben etc. etc.

Nachdem all das nun schon JAHRE zur Debatte steht, ohne daß etwa eine Bildungsreform auch bloß einige Schritte vorangekommen wäre, kann man den Grüppchen eines schönredenden Funktionärstum heute eigentlich nur noch sagen: Haltet die Fresse und bringt das in Ordnung!

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[Quelle: Der Standard]

Ich sage nicht, daß wir Kunst- und Kulturschaffenden diese Dinge einfach ändern könnten. Ich sage bloß, daß wir eine Reihe von Professionen repräsentieren, in denen die GRUNDLAGEN und Rahmenbedingungen zur Entwicklung genannter Qualitäten als unverzichtbar angesehen und daher vielfach auch verteidigt werden. Verteidigt gegen Verwässerung, Einschränkung, Gängelung.

Die Befassung mit Kunst ist ein radikaler Anlaß, sich für angemessene Bedingungen zugunsten der Wahrnehmung und des Geistes einzusetzen. Da wir keine kleinen Kinder oder Teenager mehr sind, fällt es auch schwerer, uns von diesem Verlangen abzubringen.

Das ist also eine der POLITISCHEN Argumentationsrichtungen, die ich zu verfolgen habe. Wir sind eine von mehreren Deutungseliten dieser Gesellschaft UND wir sind zugleich Leute der Praxis. Von der Kunst ausgehend, die ihrerseits keinen anderen Zwecken unterworfen werden darf oder kann, ringen wir in einem fast endlosen Variantenreichtum an Bedingungen und Grundlagen jener Qualitäten, die Selbstrefelxion, Kommunikation und andere Grundlagen von sozialem Frieden betreffen.

Wenn Sie, wie in diesen Tagen, eine Ausstellung sehen oder eine unserer anderen Veranstaltungen besuchen können, dann ist DAS nicht unsere Arbeit, den Veranstaltungsbetrieb zu füttern. Das ist bloß die Spitze des Eisbergs unserer umfasssenden kulturellen Arbeit.

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