12. Juli 2011 Eine kleine Einübung ins Morgenrot gehört für mich zu den fröhlichsten
Ereignissen, die man haben kann. Was ist das bloß für eine eigenartige Magie?
Vielleicht ahnt unsere Seele, welches Wunder darin liegt,
daß ich mich morgens wieder als der erlebe, der gestern schlafen gegangen ist. Nein,
darüber braucht nicht gelächelt zu werden. Diese Integrationsleistung ist fundamental.
Eine kleine Verschiebung in der Körperchemie, eine etwas zu heftige Abweichung im
leiblichen Temperaturspektrum, ein Virus, das sich eingeschlichen hat, es können ganz
leise, unscheinbare Feindseligkeiten sein, die einen aus der vertrauten Realität hauen.
Schon ist man sich und anderen ein Fremder.
Das Gegenteil davon, sich und anderen vertraut zu bleiben,
obwohl wir keine in Stein gehauenen Wesen sind, ist... Na? Genau! Unter anderem eine
enorme Kulturleistung. Vor allem dann, wenn man nicht mehr tribalen Lebensformen
angehört, sondern Teil einer Massengesellschaft ist.
Der Kanadier Simon Brault, an dessen aktueller
Streitschrift über Kultur ("No Cutlture, No Future") ich zur Zeit
meine Ansichten überprüfe, schreibt darüber:
Ich habe keinen Zweifel, daß wir in den letzten 20 Jahren
-- höchst leichtsinnig -- weitgehend darauf verzichtet haben, konsequent daran zu
arbeiten, daß diese Zusammenhänge zu einer Art Allgemeingut werden und darüber ein
breiter gesellschaftlicher Konsens wächst.
Die Falle war, durch das gelegentliche Behaupten solcher
Ansichten anzunehmen, die "gute Botschaft" werde a) gehört und b) angenommen.
Wenn ich vorherrschenden Ansichten, was "Kultur" sei, überprüfe, wenn ich
darin nach der Position von Gegenwartskunst ausschaue, komme ich freilich ins Grübeln.
Dabei könnte mir dann auffallen, daß sich in der
Entfaltung jener (historisch) recht jungen Massenkultur Kräfte als dominant durchgesetzt
haben, denen wir als Metier, als "Szene", momentan kaum mehr als empörtes
Gebrüll und larmoyantes Klagen entgegenzuhalten haben.
Wie groß die augenblicklichen Probleme der
"Initiativen-Szene" sind, zeigt sich allein daran, daß dort Widerspruch kaum
ertragen wird, Antwortvielfalt kein vorherrschendes Prinzip ist und neben einer
Reihe von Proklamationen kaum Diskursives in den öffentlichen Raum vordringt.
Rechne ich den stellenweise penetranten
"Funktionärsstil" in der Sprache ein, den ich da und dort nachlesen muß, wird
mir die Alarmstufe in meinem Berufsfeld mehr als deutlich. Aber vielleicht hilft das ja
beim Aufwachen.
An einer Stelle seiner Streitschrift schreibt Simon Brault:
"Ich möchte glauben, daß künstlerische Arbeiten und Kreationen, die jetzt noch
nicht existieren oder die ich noch nicht entdeckt habe, werden für mich auf meiner Reise
über die Erde noch wichtig werden."
Bliebe zu klären, was getan werden muß, um solchen
Ansichten etwas mehr Zuspruch zu verschaffen. Falls wir DARAUF keine Antworten haben,
bleibt es auch sinnlos, kulturpolitisches Personal anzubrüllen.
Nebenbei bemerkt, um derlei Fragen geht es AUCH bei unseren
"Talking Communities",
die wir genau deshalb eingeführt haben: Zu erörtern und nach außen zu kommunizieren,
was all das bedeutet und warum wir uns dafür langfristig verwenden.
Morgen wird die Grazer Künstlerin Eva Ursprung in
Gleisdorf zu Gast sein: [link]
Dazu gehört ferner eine neue Produktion in unserer kleinen Kunstkarten-Edition: [link] Das sind übrigens
Vorgänge, in welche Kommunen der "Provinz" momentan kein Geld investieren.
Es ist ganz bemerkenswert, daß wir diese wachsende
Stagnation unserer Gesellschaft erleben, daß der inzwischen rasende Kompetenzverlust
dieser Gesellschaft nicht übersehen werden kann, daß dabei allerdings am wenigsten auf
den Kulturbereich gesetzt wird, um dieses Kräftespiel neu zu ordnen.
Schwamm drüber! Wenigstens bis mein nächster Kübel
Kaffee auf dem Tisch steht. Es gibt ja auch noch so Lustigkeiten, wie etwa, daß einem ein
Ferrari 360 Spider um die Ohren fährt, dessen Fahrer das Triebwerk zwischendurch brüllen
läßt wie ein Raubtier.
Dabei dachte ich mir, auf wessen Kosten wohl die enorm
teure Erhaltung von Autobahnen gehen wird, wenn individueller Massenverkehr auf Basis von
Verbrennungsmotoren vorbei ist. Wir gehen ja sehr flott einer Ära entgegen, wo sich bloß
noch ziemlich wohlhabende Leute Automobile leisten können; wie es auch am Beginn der
Geschichte des Automobilismus war. |