9. Juni 2011

Eigentlich war ich auf eine Komödie aus, denn ich wollte mir darin etwas andere Laune abholen. Dann bin ich aber an diesem Titel hängengeblieben: "Zivi i mrtvi". Das heißt: "Die Lebenden und die Toten". Ein Film des Kroaten Kristijan Milic.

An einer Stelle passiert die Gruppe von Soldaten eine Hütte, auf deren Wand in großen Lettern "OVO JE BOSNA" steht, "Hier ist Bosnien". Serbische Einheiten kommen nur kurz in Gesprächen vor, Hauptereignis ist die Konfrontation zwischen Kroaten und Bosniaken.

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Aber es wird schnell klar, daß das bloß symbolische Zuweisungen sind. Das Sterben ereignet sich auf beiden Seiten laufend, fast leise und völlig unspektakulär. Es bleibt so unbegründet, wie es davor schon einmal gewesen ist. Über eine Zigarettendose wird der Bogen zwischen drei Generationen und zwei Kriegen gespannt. Mit wem und gegen wen kämpften in den 1940ern die kroatischen Ustaschen? Vor allem aber: Wozu?

Travnik ist übrigens ein Ort in Bosnien, aus dem der Autor Ivo Andric stammt. Wir drücken uns nach wie vor um die Anerkenntnis, daß diese jugoslawischen Kriege der 1990er nicht bloß Sache der südslawischen Völker sind, sondern etwas von ganz Europa ausdrücken. Der Problembereich zeigt sich alle Tage, wie etwa gestern:

>>Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Le Pen kritisierte Strache die Frage eines österreichischen Journalisten an Le Pen als "Nestbeschmutzung" und den Versuch...<< [Quelle: ORF]

Nestbeschmutzung, das gibt es nicht und kann es gar nicht geben. Die Vorstellung, eine einzelne Person könne ein Land beschmutzen oder beleidigen, ist vollkommen lächerlich, ist einem menschenverachtenden Nationalismus aus dem 19. Jahrhundert geschuldet. Warum strapaziert jemand also derlei irreale Metaphern? Um simple Ansichten zu bewirtschaften.

Wenn ein erigierter Spießer sich so weit aufzurichten versucht, daß er sich mit der Größe einer Nation assoziieren möchte, dann kommen solche Geschichten heraus. Fühlt sich der Spießer beleidigt, möge das Land sich beschmutzt fühlen, wonach das Volk sich erheben solle. Und plötzlich gibt es Massen von Toten, aber niemand kann sagen, wozu sie einander ums Leben gebracht haben.

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Keine Schlachterei ohne den vorherigen Krieg der Worte. Keine Massen von Toten, ohne diese Hetzer, die sich anmaßen, für ein Land zu sprechen. Keine Massaker ohne ein Vorfeld solcher erigierter Spießer, die sich recken und strecken, um endlich einen größeren Schatten zu werfen. Und weil sie es weder mit ihrer Physis noch mit ihren Taten schaffen, tun sie es mit Worten, vergrößern ihre bescheidene Silhouette durch solches Bellen.

Das ist übrigens einer der Gründe, warum mich ein lebhaftes kulturelles Klima so beschäftigt, warum Kulturpolitik meines Erachtens keineswegs bloß das Veranstaltungswesen betreffen darf, warum wir Bedingungen und Situationen brauchen, in denen uns das Denken und das Fassen von Meinungen gelingt... jenseits kalt recycleter Stereotypen.

Ich habe also über eine Kulturpoltik zu reden, die nicht bloß das Handeln des politischen Personals meint, sondern auch unser eigenes. Ich habe über eine Kulturpoltik zu reden, die nicht bloß zwischen zwei Lagern polarisiert, sondern die ein komplexes Gemeinwesen thematisiert.

 

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