27. Mai 2011 Ich weiß nie, wann ich meinen eigenen Ressentiments zum Opfer falle. Das
Ärgerliche an Ressentiments ist, daß sie so tun, als wären sie naturgemäß kritische
Urteile, die sich anfühlen, als wären sie mit Bedacht formuliert geworden.
Wie kann ich nun das Trügerische vom Treffenden
unterscheiden? Keine Ahnung! Das stimmt jetzt nicht ganz. Wenn zum Beispiel somatische
Marker anspringen, ha!, das hab ich vor vielen Jahren bei Damasio gelesen, dann stellen
sich manche Klarheiten ja auch ganz ohne rationales Besteck ein. Also: Bauchgefühl,
Intuition, Emotionenm, das sind ja keine schlechteren Quellen als die Ratio.
Interludium:
Meine Zahnärztin versteht ihren Job. Ich bin mit Schmerzen einigermaßen erfahren. Wo ist
also das Problem? Stressss! Zahnärztliche Behandlungen sind mir auf zweierlei Arten eine
Bürde. Einerseits sie Schmerzen, welche sich a) ertragen und b) behandeln lassen, ganz
abhängig von ihrer Intensität; andererseits aber löst allein der Umstand, daß mir
Schmerz widerfahren wird, enormen Stress aus, der mich aggressiv macht. Blöde Geschichte!
Aber was wollte ich eigentlich erzählen? Genau! Sagt mir
dieser Tage ein baumlanger Kerl, der eben diese Stress-Sache gut kennt, beim Zahnarzt sei
er ein "Schißzwerg". Was für ein Wort! Hab ich davor noch nie
gehört.
Weiter:
Worte. Wortwahl. Kürzlich war ich noch grantig, jetzt bin ich massiv verärgert. Die
Spaßgesellschaft ruft den Aufstand aus. Eine Email trägt mir zu: "OASE DES
AUFSTANDS mit kulturellen Erfrischungen".
Ein Scherz? Angewandte Ironie? Mitnichten!
Also: Aufstand in Österreich. Sisi goes Punk ind Franzl
schlägt die Trommel; oder was wird das? Ich denk mir: Erschöpft, gut, darum ab in die
Therme, das ginge ja. Oder richtig ausfreaken. Oder ich weiß nicht was und wie. Aber
Aufstand! Als Wellness-Paket. Und dann gleich: "Wir möchten Denker
einladen, die Überblicke und Perspektiven schaffen, die für uns interessant sind."
Da offenbart sich die Spaßgesellschaft als legitimes
Produkt der zeitgenössischen Konsumwelt. Ja, so geht das: Ihr Denker, tragt her, bis wir
halt! sagen, wir schauen dann, was interessant ist. Und wie geht das mit dem Aufstand in
der Praxis? So: "... wir wollen laute Musik, tanzbare Musik, wir wollen auch
leise Musik, Ruhephasen, Ruheinseln, ...". Bitteschön: http://www.oasebad.at/
Ferner: Weil Künstlerinnen wie Künstler ja eigentlich
keine Sau braucht, weil die aber doch für was, für irgendwas, nützlich sein könnten,
denn sie kosten ja genug, so gesamtsteirisch, mag ihnen das Dekorieren der Räuberhöhle
anvertraut werden: "Wir wollen die Oase optisch gestalten, Künstler herbei, was
fällt euch ein zum Thema 'Oase des Widerstands!' ?"
Als der Franzl, unser guter Kaiser, 1848 einmal einen
Aufstand erlebt hat, kamen die Herren Radetzky, Jelacic und Konsorten angeritten,
verschütteten etwas Untertanenblut, damit war die Sache fix erledigt. Man verzeihe uns
Österreicherinnen und Österreichern, wir haben keine Erfahrung mit Revolutionen. Die
Habsburger haben sich selbst abgeschafft, weil ihnen ihr Erster Weltkrieg einigermaßen
daneben gegangen ist. Was noch? Nichts.
Vor diesem Hintergrund will eine Protestbewegung, die
aktuell durchaus politische Meriten erworben und etwas bewirkt hat, das bestreite ich
keineswegs, nicht nur eine "Widerstandsbewegen" sein, obwohl es merklich nicht
gelingen mag, einer Macht im Wege zu stehen, das politiche Personal rennt einfach ins
nächste Kaffeehaus, neuerdings ist sogar von Aufstand die Rede.
Das verärgert mich derart, diese unglaubliche Chuzpe,
Begriffe solala herunterzuwirtschaften, um etwas daherzureden, was noch nicht einmal eine love
& peace-Lustigkeit a la voriges Jahrhundert ergibt. Dafür heißt es in dem
kühnen Poststück quasi als Resümee:
"Die Oase könnte dann, zu später Stunde, mit
einer optimistischen, aufrechten, kämpferischen, fröhlichen Haltung verlassen werden.
"
Da war ja der angesoffene Sokrates ein wilderer Hund, als
er nudelfett in das legendäre Gastmahl ("Symposion") stolperte, um mit
Freunden den Eros zu preisen und zu bechern, was der Bauch hält, wie Platon anregend zu
berichten wußte.
Ich würde mir wünschen, wir wären in der Lage, mit
Sprache gelegentlich das auszudrücken, worum es geht. Dabei würde ich die "Wohlfühl-Oase"
gerne den Installateuren überlassen, die dieses Feld nun seit Jahren eifrig
betreuen. Und, weil der düstere Ratko Mladic gestern geschnappt worden ist, vielleicht
wäre ein kleiner Betriebsausflug nach Beograd nett.
Dort leben Kunstschaffende, die in den Tagen des Milosevic
gegen Polizeiverbände aufgetreten sind und während des Nato-Bombardements auf
öffentlichen Plätzen gearbeitet haben, um gegen die Politik und die eskalierte Gewalt
ein Zeichen zu setzen.
Lassen wir uns von ihnen einen Kaffee kochen und vielleicht
ein paar Gläschen Rakija ausschenken, um ihnen dann entspannt zuzuhören, wie das so ist,
wenn man Widerstand und Aufstand nicht bloß sagt, sondern auch meint
und realisiert. |