12. April 2011 Mit dieser Lustigkeit hätte ich den Tag zubringen wollen: Ein Bild
aus der Sammlung von Jörg Vogeltanz. Hinten sitze ich und vor mir ... Juri
Gagarin. Er brach am 12. April 1961 als erster Mensch ins Weltall auf, die Erde zu
umrunden.
Ich war gerade fünf Jahre alt geworden. Einerseits ist es
eine unglaubliche Sensation gewesen, daß die Barriere zum All nun von Menschen
überschritten werden konnte. Auch wenn ich als Kind die genauen Zusammenhänge nicht
verstand, so spürte ich doch die Wucht dieser Metapher. Andrerseits war von Belang, daß
es einem Russen VOR einem Amerikaner gelungen ist, diesen Schritt zu tun.
Ich bin ein Kind des Kalten Krieges und mit den steten
Einflüsterungen aufgewachsen, daß Slawen "Untermenschen" seien und daß
"die Russen" uns fressen oder mindestens zu ihren Sklaven machen möchten.
Ich konnte als Kind nicht so genau wissen, daß "den
Russen" genau das zuvor schon von meinen Leuten angetan worden war, die sich als
"Herrenmenschen" über sie erhoben hatten. Und plötzlich hatte "Da
Ruß" die "Herrenmenschen" auf dieser paradigmatischen Reise hinter sich
gelassen. Unfaßbar! Die Zeit war von Tempo geprägt.
Kurz vor meiner Geburt hatte es in den populären "hobby"-Magazinen
eine Bauanleitung für das elektrisch betriebene Modell eines Mercedes "Silberpfeil"
gegeben. Genauer: ein W 196, wie er damals in der Formel 1 eingesetzt wurde.
Ich liebe es, in solchen alten Heften zu blättern. Die
Bilder und Phantasien jener Tage überdecken so manche Grausamkeit, die in der
Postkriegsgesellschaft der moralisch völlig heruntergekommenen "Herremenschen"
salonfähig gewesen ist.
Aber so lustig wurde es dann gestern nicht. Der Abend hatte
mir ein entsetzliches Erlebnis beschert, das mir heute die Stimmung dominierte. Ich war in
einer Runde von Menschen gesessen, die teils selbst schwere Behinderungen erlitten haben,
teils die Angehörigen von schwer behinderten Menschen sind. Ich war ihrer Furcht
begegnet.
Hier ein junges Mädchen, das selbst nicht atmen kann. Da
ein Mann meines Alters, der mit seinem Fahrrad gestürzt war und seither vom Kopf abwärts
gelähmt ist. Dort ein junger Bursche, der offensichtlich in einer anderen Realität lebt.
Sie und ihre Angehörigen schaffen ein Leben heute halbwegs, weil es Assistenzdienste
gibt, die ihnen bei der Bewältigung des Alltags helfen. Und jene, die Angehörige
langfristig betreuen, müssen ja auch gelegentlich freigestellt sein, wenigstens für
Stunden ein Leben für sich haben, das nicht von pausenloser Pflicht bestimm ist.
Nun habe ich erlebt, welcher Angst diese Menschen
ausgesetzt sind. Manche wohl auch am Rande einer Panik, weil sie wissen, was auf sie
zukommt, wenn jene Assistenzleistungen weitgehend wegfallen, dank derer sie momentan
gerade über die Runden kommen. Das Landesgesetz, mit dem die entsprechenden Kürzungen
legitimiert werden, wird in Kürze von Landtag beschlossen werden; falls nicht
Unvorhersehbares den lauf der Dinge umlenkt.
Ich kann rational überhaupt nicht nachvollziehen, was die
Landespolitik dazu bringt, Menschen, welche schon Jahre unter hohem Druck leben und
außergwöhnlichen Belastungen standhalten müssen, derart in Angst und Schrecken zu
versetzen.
Das ist ein beispielloser Vorfall und schon diese Phase der
Verängstigung erscheint mir völlig inakzeptabel. Wer so ein Leben kennt, kann das gar
nicht anders bewerten, denn als einen Terror-Akt. (Terror ist das lateinisch Wort
für Schrecken.) Setzen Sie sich zu solchen Menschen an den Tisch, schauen Sie
ihnen in die Augen, dann bekommen Sie eine vage Vorstellung, wie sehr sie von unserer
Politik in Angst und Sorge versetzt wurden.
Es ist ein Schande und ich will erleben,
daß jene,
die das ausgelöst haben, Rechenschaft ablegen müssen.
[kunst.rasen: assistenz] |