11. April 2011

Stahl, Autos, Elektronik. Eben war Japan noch Weltführer in der Produktion dieser Güter. Nun erwägen einige Konzernleitende, ihre Produktionen verstärkt außer Landes zu verlegen.  Traumatisierte Angehörige der Tsunami-Toten. Wir wissen noch nicht, wie weit die atomare Verseuchung des Pazifik voranschreiten wird. Wie oft bin ich nun seit Wochen zur Solidarität mit Japan aufgefordert worden? (Wie mach ich das, falls ich möchte?)

Es ist aber auch meine Solidarität mit Kulturschaffenden in der Steiermark gefordert. Ebenso mit dem Großkünstler Peter Weibel. Oder doch eher mit seinem vormaligen Chef Peter Pakesch? Überdies mit dem verschleppten chinesischen Kunststar Ai Weiwei. Meine Solidarität ist aber auch mit Behinderten und deren Angehörigen gefordert. Und mit Demenzkranken, derer in unserer Nähe immer mehr werden.

Reicht es da noch für etwas Solidarität mit den Rebellen von Lybien? Und sollte ich mit Italien solidarisch werden, da dort Berlusconi schaltet und waltet, wie es dem reichen Spießer gerade paßt,w as von einem Fiasko zum nächsten führt? Aber jene lybischen Flüchtlinge, die es bis Lampedusa geschafft haben, brauchen meine Zuwendung. Zumal Berlusconi erwägt, ihnen Visa zu geben, damit sie innerhalb des Schengenraumes auf Reisen gehen können. Da werden wir uns also ohnehin treffen. Und haben Sie gewußt, daß viele von ihnen schon Flüchtlinge waren, als sie in Lybien ankamen?

Nebenbei: Bin ich nun für oder gegen das Burka-Verbot, das in Frankreich heute in Kraft tritt? Das muß noch entschieden werden.

Aber Ägypten! Und Syrien! Und dann doch wieder: Die Steiermark. Die Menschenkette, so erfuhr ich, sei "Pflicht" beziehungsweise ein "Pflichttermin", denn wer dorrt nicht erscheint, der schweigt und wer schweigt, stimmt zu. Also raus auf die Straße, da hin, dort hin!

Ja, so munter waren meine Leute lange nicht mehr, so lebhaft ging es in meinem Milieu längst nicht mehr zu. Aber woher weiß ich von all diesen Erregungen und Ernsthaftigkeiten? Web Zwo und Mailinglisten suchen mich in die Pflichten zu nehmen. Jede private Betroffenheit ein Mausklick und ein Steinchen ins Wasser, das Wellen schlägt. So brandet die Flut tagtäglich an mich heran, um meine Bewußtheit wach zu halten.

Das ist natürlich gut so. Bei meinem besinnungslosen Leben brauche ich solche Impulse. Oder aber. Weil. Und überhaupt. Zwischendurch erfahre ich auch, daß endlich einige der Leichen geborgen werden konnten, oder wenigstens gefunden, die auf einen Flugzeugabsturz vor etwa drei Jahren in irgendein Meer zurückgehen. Ja, das gibt Nachrichten her.

Das heißt, ich bin auch im Wirkungsfeld von völlig bescheuerten Redakteuren, deren Zurechnungsfähigkeit nirgends mehr zur Debatte steht. Zugleich wird seriöser Journalismus immer schlechter bezahlt. (Naja, schlechter Journalismus auch.) Aber wir "Kulturinitiativen- Leute", die wir uns vor rund einem Jahrzehnt auch noch als "Zeitungs-Leute", "Medien-Leute" und "Netzkultur-Leute" verstanden haben, sind hier kaum darüber hinausgekommen, ein paar Evidenzstellen für Flugblätter einzurichten.

Also rufen wir einander Erregungen und Verpflichtungen zu und nehmen uns gelegentlich, wenn ausreichend anlaßbezogen, im Realraum bei der Hand. Aber was wird geschehen, wenn sich diese Ansätze zurechtgerüttelt haben? Welche praktischen Vorstellungen von einem Dasein als politische Wesen werden wir pflegen? Welche Diskurse werden einerseits in den "Szenen" laufen und andrerseits auch Teil öffentlicher Diskurse werden? Wen höre ich dann seine oder ihre Gründe nennen? Wen sehe ich dann da und dort sich exponieren? Also was ist mit dem Rest des Jahres?

 

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