26. Februar 2011 Am Nachmittag soll heute der Schneefall in Novi Sad enden. Ich werde
dann wohl einmal mein Auto ausgraben; falls ich es wiederfinde. Manchmal vergesse ich
unterwegs, wo ich es stehengelassen habe.
Das wäre jetzt wohl eine passende Ausstattung für
sicheres Vorankommen. Aber dieser "Fordson", wie er im kroatischen
Novigrad Podravski bei einer Tankstelle steht, würde keine passable Reisegeschwindigkeit
zusammenbringen.
Das Teil ist übrigens Legende. Es war der erste kleine
Traktor in Massenproduktion, wie er ab 1918 auf dem europäischen Markt verfügbar gewesen
ist. Ich bin freilich mit dem Kopf zur Zeit bei ganz anderen Dingen. Web 2.0-Kuriositäten
mischen sich mit Alltagsereignissen außerhalb meines gewöhnlichen Alltags. Die Leute in
Serbien stehen unter wachsendem Druck. Die Welt wird an vielen Ecken ungemütlicher. Und
ich hab online gerade wieder so ein schnatterndes Herzchen um die Ohren gehabt.
Dieses ausrufende Dahingerede, begleitet von einer Freude
an Sinnsprüchen und Zitaten, die Welt als Sammelband von "Readers Digest"
... da tut sich der Boss eines Marketingbetriebes hervor, indem er Zitate ausstreut, die
von Lincoln bis Kennedy reichen ... wofür schmeißen wir eigentlich noch Geld raus, um
Universitäten zu betreiben, wenn dabei solche Eliten herauskommen? (Kleiner, rüder
Scherz!)
>>Lies noch einmal oben und denk an Kennedy:
"Überlege nicht, was das Land für Dich tun kann, sondern was Du für das Land tun
kannst". Das führt zu einer lebenswerten Demokratie.<<
... hab ich mir ausrichten lassen. Das hab ich besonders
gerne, wenn jemand unterstellt, ich wüßte nicht, was ich eben geschrieben habe. Und
ausgerechnet Kennedy ... Der Großmeister des Kalten Krieges mit seiner blassen,
parfümierten Stil-Ikone und seinem g'schlamperten Verhältnis zu Marylin Monroe; was soll
ich mir bei solchen Monumenten einer vergangenen Weltsicht eigentlich abschauen? Wofür
wäre der heute ein Referenzpunkt?
Ost-West-Fragen. Sind wir damit auf Stand? Ich habe gestern
mit Relja Drazic darüber diskutiert: Wie und womit überwinden wir die rassistischen
Barrieren in diesem so komplizierten Teil Europas? Und das meint nicht bloß die
Südslawen untereinander, sondern auch uns im Verhältnis zu ihnen etc. Ethnos, und da
stimmte er mir zu, hat Gewicht. "Ich muß Dir sagen, Ihr serbischen Leute tickt
schon ziemlich anders als wir", meinte ich grinsend.
Aber das meint mehr noch diese Komplexität der ganzen
Region, aus der ich nie richtig schlau werde, obwohl mich die Angelegenheiten des Balkans
seit ungefähr 25 Jahren intensiv beschäftigen. Vielleicht sollten wir begreifen, daß es
genau diese Komplexität ist, an der man einfach nicht klug werden kann, im Sinne von
schlüssigen Auffassungen, welche einige Zeit halten mögen. Ich vermute, daß diese
Komplexität eine Art "Teststrecke" Europas ist.
Was hier auf dem Balkan gelingt oder mißlingt, ist meist
sehr anregend, wenn ich über den Rest Europas nachdenke. Mit Sinnspruch-Sammlungen a la "Readers
Digest" ist da schon gar nichts zu machen. Wir haben, das steht für mich außer
Zweifel, gute Gründe, uns um unsere Demokratie Sorgen zu machen. Vielleicht unter
anderem, weil sie so sehr zum Spielfeld von Sinnspruchverzehrern geworden ist. Man sehe
sich bloß etwa auf "Facebook" um, was manche Leute da für
"Philosophie" halten und folglich als "ihre" Philosophie
ausweisen.Gruselig!
Hier von links Künstler Nikola Dzafo, der eben seine Ausstellung eröffnete,
Lektorin Vesna Grgincevic und Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov. Das war gestern
eine enorm hitzige Debatte über Bedingungen des Kunstbetriebes. Dessen Eigenheiten
reflektieren natürlich gleichzeitig auch den Zustand einer Gesellschaft.
Das ergibt Zusammenhänge, in denen ferner zu klären
wäre, was denn nun Agenda der Kunst seien, was Fragen der Kunstvermittlung angehe und was
überdies Themen der Kulturpolitik sein müßten. Zuhause erlebe ich einen völligen
Mangel an Trennschärfe, was diese Kategorien angeht. Auf der Website von "kunst
ost" habe ich eben das Thema "soziokulturelle
Kuschelecke" angerissen.
Dazu gehört es am Rande durchaus auch, wenn ein akademisch
gebildeter Marketing-Boss allen Ernstes meint, das Posten von bedeutungsschwangeren
Zitaten historischer Persönlichkeiten sei für sich schon ein Beitrag zur Demokratie oder
würde Beiträge zur Demokratie anregen. Eine originelle Variante der
Mausklick-Demokratie, die sich momentan nicht in Frage stellen läßt. Warum wohl? Weil es
so hohl klingt, wenn man auf solche Büsche klopft?
Egal! Das wird sich im Moment nicht weiter erhellen lassen.
Ich war übrigens ziemlich überrascht, als ich erfuhr, daß Relja Drazic Thomas Bernhard
übersetzt hat. Was eigentlich "Autobiographische Schriften: Die Ursache / Der
Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind" sind, hat sich für mich zu einem
Satz gefügt: "Die Ursache für den kalten Atem des Keller-Kindes". Das
hat was sehr Österreichisches ... |