2. November 2010

Meinen Gang in ein lokales Fachgeschäft ließ ich am Verkaufspult so auf den Punkt kommen: "Guten Tag! Für kultur.at sollten einige Fotos in 20x30 da sein." Ich sah die Fachkraft eine Weile hinter dem Pult kramen und kam zum Schluß, das Abteil der Schublade ließe bestenfalls das Fotoformat 13x18 zu. Also bemerkte ich: "Sie sind 20x30. Ihr werdet mir die Fotos doch nicht gefaltet haben." Der Mann antwortete ohne aufzusehen: "Weiß man nie."

Da hat er ja prinzipiell ganz recht. Dennoch beschlich mich augenblicklich das Gefühl, die sei ein guter Moment, mir um das Bildungsniveau unserer Jugend Sorgen zu machen. Dann machte mir Sorgen, was mich wohl plötzlich dazu bringt, in solchen Kategorien zu denken: "Unserer Jugend".

Der Einwand einer älteren Fachkraft, die Fotos hätte etwa DIN A4 und müßten sich daher in einer anderen Lade befinden, führten auf jeden Fall zu neuen Klarheiten und hatte zur Folge, daß ich zusagte, morgen wieder zu kommen. Vielleicht werden dann unsere 20x30-Fotos verfügbar sein. Apropos Fotos!

log1660a.jpg (24807 Byte)

Wir hatten eben eine Session mit Fotograf Franz Sattler, Schwerpunkt "Blickkompetenz". Sattler ist hier in der Mitte bei der Arbeit zu sehen. Rechts im Vordergrund Gerrit Husung, der seit velen Jahren im "Großformat" arbeitet; definitiv eine Königsdisziplin der Fotografie.

Das bedeutet, er ist mit seiner Wahl der Werkzeuge auf ganz grundlegende Art den Anfängen der Fotografie verbunden, pflegt zugleich einen gegenwärtigen Status des Mediums, der eine Kategorie für sich ist. Daraus ergeben sich beachtenswerte Denk- und Betrachtungsweisen, die Sattler mit seiner reichen Erfahrung kontrastiert.

Ein weiterer Schritt, im Kontext des Kulturprojektes "kunst ost" zunehmend auf Kompetenzgewinn zu setzen. Es waren erst kürzlich die "Labor-Übungen" und der Vortrag von Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov eben diesen Bestrebungen gewidmet --- hier im unteren Bereich der "Schritte" im Rahmen unseres Beitrages zum heurigen Festival "steirischer herbst".

log1660b.jpg (14760 Byte)

Apropos Kompetenzgewinn. Ich nenne die Leute in Südosteuropa vorzugsweise "Unsere alten Nachbarn". Es hat uns einst viel verbunden; auch im Kontroversiellen. Über ein halbes Jahrtausend unter dem Banner des Hauses Habsburg waren hier wechselvolle Nachbarschaften üblich. Ein halbes Jahrhundert Kalter Krieg hat viel davon zerschlagen, nachdem die Jahrzehnte davor ein gewalttätiges Ensemble von Umbrüchen zu bewältigen gewesen ist. Ich fahre gerne auf den Balkan, um da inspierierte Menschen zu treffen und mich mit ihnen über verschiedene Angelegenheiten von Gewicht auseinanderzusetzen.

log1660c.jpg (18922 Byte)

Diese Bilder stammen aus dem bosnischen Banja Luka, wo das "Center for Visual Communications Protok" gerade den Part 2010 der "Spaport Biennial" realisiert hat. Zum Teil der unmißverständliche Zugang Kunstschaffender auf die jüngsten Konsequenzen eines Europa, das sich schon geraume Zeit nicht von einem vor allem ethnisch begründeten Nationalismus losreißen kann.

Ich schreibe bewußt Europa, denn ich meine den ganzen Kontinent, der uns zur Zeit in so vielen Parlamenten quasi-faschistische Abgeordnete zumutet. Was immer die Völker des vormaligen Jugoslawien selbst zu verantworten haben, und da ist in mehreren Ethnien so einiges an Kriegsverbrechen zusammengekommen, es ist ganz Europa, das nach Auschwitz gemeinsam in ein "Nie wieder!" eingestimmt hat. Seit Srebrenica mußte es dann "Schon wieder!" heißen.

Auch wenn die Greuel der Bosnien-Kriege nicht mit dem Holocaust gleichgestellt werden können, so ist es doch der gleiche Geist, sind es die gleichen banalen Seiten ganz gewöhnlicher Menschen, die das zustande gebracht haben.

log1660d.jpg (28018 Byte)

MILICA TOMIC UND MIRJANA PEITLER-SELAKOV IN BANJA LUKA

Es haben also weder die südslawischen Völker noch Europa als Ganzes zu verhindern gewußt, was sich in Omarska, Kozarac, Ljubija, Keraterm und anderen Orten ereignet hat, was -- ganz unabhängig von seiner Dimension -- völlig im Geiste der nazistischen Verbrechen an Menschen stand, welche dem System unliebsam waren. Es wurde also eine Tradition der Menschenverachtung fortgeschrieben, über die wir einander versichert haben, wir hätten das im Griff.

Solchen Zusammenhängen ist unter anderem die Arbeit der "Grupa Spomenik" gewidmet, welche von der Künstlerin Milica Tomic initiiert wurde. Wir haben nun unsererseits begonnen, eine Arbeitsposition zu entwickeln, die außerhalb der Terrains des vormaligen Jugoslawien eine relevante Verbindung ergeben.

Das handelt zum Beispiel von der Frage, mit welchem Mandat und mit welchen Intentionen ich als "Außenstehender" an das Thema herangehe, das seine aktuellen ereignisorte in Südosteuropa hat ...


[kontakt] [reset] [krusche]

44•10