14. Oktober 2010 Manchmal verlaufen Tage ganz und gar nicht so, wie
ich es mir vorgestellt habe. Vielleicht ist das ein großer Vorteil. Eventuell wäre ich
sonst knietief in eingegrabenen Spuren stets gleicher Abläufe unterwegs. Aber so
funktioniert mein Leben ja überhaupt nicht, denke ich. Na eben! Weil. Wo ist also diese
angemessene Balance zwischen eigenem Wollen und anderen Kräftespielen?
Und Pause! Vorhin hat Roman Hold bei mir
vorbeigeklingelt. Er habe was Nettes zum Schauen. Als ich kurz darauf beim Tor
hinausrannte, rannte ich in dieses Monster hinein, das dasteht, als würde es
leidenschaftlich kleine Kinder fressen.
Nein, nicht Hold, sondern ein Ford F150
"Raptor". Wenn man sich hinter's Steuer klemmt, sieht man ... daß man nichts
sieht. (Das Trittbrett hilft sehr, elegant rauf und runter zu kommen.) Es erzeugt mit
Sicherheit häßliche Geräusche, wenn man des Weges nicht ein gutes Gefühl hat, wo diese
Fuhre anfängt und endet.
Dabei bin ich inhaltlich gerade erst bei den
Anfängen solcher Geschichten. Um 1900 kam die Sache in Schwung. Damals fuhr man noch "Quadricycle"
oder eine "Voiturette. Drei bis fünf PS erschienen als manierliche
Ausstattung. Seither? Gewaltige Umbrüche! Was sind uns diese rund hundert Jahre? Mühen
der Zivilisation.
Damit meine ich das Ringen um einen möglichst
breiten gesellschaftlichen Konsens, daß Gewaltverzicht eine zentrale Anforderung jeder
Gesellschaft sei und eine gerechte Verteilung der Güter die Voraussetzung für sozialen
Frieden.
Zugegeben, das klingt ein wenig altbacken. Aber
es erscheint mir brandaktuell. Ich war gestern in einem verstörenden Film befangen, in
der langsamen und bedachten Erzählung einer unerträglichen Steigerung in der Verrohung
ohnehin schon verrohter Männer.
Die Geschichte des Alexander Pearce
im Film "Van Diemen's
Land". Eine Ire, der als Sträfling nach Tasmanien verfrachtet wurde, der mit
einigen Mitgefangenen flüchtet. Eine Reise, auf der -- wie in einer griechischen
Tragödie -- jede Wendung zum Schlechten noch um eine nächst härtere Stufe übertroffen
wird. ("Wir müssen ihn ausbluten lassen, sonst können wir ihn nicht
essen.")
Das Leben von Pearce endete 1824 am Strick. Wenig
später ereignete sich in Irland jene Katastrophe, der Patrick Kavanagh das monumentale
Gedicht "The
Great Hunger" gewidmet hat. Warum mich das beschäftigt?
Was folgt der Verrohung einer Gesellschaft? Zuvor
aber, wo beginnt sie und womit? Wenn die Einen Not leiden und die Anderen Not fürchten,
sind wir sehr anfällig für Grausamkeiten. Als Täter und als Opfer. Heute ereignet sich
das bei uns nicht in so drastischen Bildern wie in der Vergangenheit. Aber ich habe keinen
Zweifel, daß wir erneut begonnen haben, uns solcher Verrohung hinzugeben. Das stört mich
auf fast unerträgliche Art.
[kontakt] [reset] [krusche] |