7. August 2010

Ja freilich kann man im Kosovo leben. Es verlangt bloß einige Courage, nicht wegrennen zu wollen. Oder sehr starke emotionale Bindungen. Manche Leute, mit denen ich gesprochen habe, deuteten an, daß sie in dieser Land sehr gelitten haben. DAS sei ein guter Grund, dort zu bleiben.

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Über zweierlei war ich auf Anhieb erstaunt. Noch nie zuvor hatte ich so viele Autowaschanlagen gesehen wie dort. (Keine Gasse ohne "Auto Larje". Selbst unter meinem Hotelzimmer-Fenster hatte ich eine.) Und so viele Möbelgeschäfte.

Diese Auffälligkeiten hängen wohl mit zwei weiteren Augenscheinlichkeiten zusammen. Die meisten Straßen sind schlecht bis miserabel, was durch eine Abgasbelastung abgerundet wird, daß mir stundenweise die Augen getränt haben. Und das Bauen von Häusern scheint ein Volkssport zu sein. Nein, das klingt irreführend. Das meiste an Betongerippen, die an manchmal verblüffend abgelegenen Positionen stehen, völliger Wildwuchs, gehören ja einer situierten Minorität, der ein bitter armes Volk gegenüber steht.

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Die Städte, die Dörfer, die Wege. Mir ist schon klar, warum wir hier von dieser Ärmlichkeit nichts wissen wollen. Es erinnert uns zu sehr daran, woher die meisten von uns kommen. Derart ärmlich ist es etwa in Oststeiermark vor gar nicht so langer Zeit gewesen. Das sind bloß fünf bis sieben Jahrzehnte.

Fotograf Gerhard Skrapits erzählte mir gestern bei einer Vernissage, als wir über solche Dinge sprachen, von Keuschlern, die noch kürzlich ihre Stube mit den Tieren teilten. Keuschler und Kleinhäusler waren freilich unlängst schon etwas besser gestellt als die große Armee der Dienstboten in der agrarischen Welt; notorische Habenichtse, ehelos, im Alter auf die Gnade der Seßhaften angewiesen. (Genau! Gnade.)

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Eben daran wollen wir mit Sicherheit nicht erinnert werden, wenn wir einen in Österreich aufgewachsenen Teenager, offenbar klug und gut gebildet, aber mit kosovarischen Wurzeln, aus dem Land schmeißen und in den Süden schicken.

Ich hatte den Eindruck viele Leute seien einst geflohen, ausgewandert, aber schließlich aus anderen Ländern in das Kosovo zurückgekehrt, nachdem sie reichlich Erfahrungen und einiges Geld in der Diaspora gemacht hatten.

Deshalb scheint mir, das wäre ein guter Modus für EUROPA, wenn man also in europäischen Dimensionen zu denken bereit ist, daß so einem seit jeher armen und strukturschwachen Süden adäquate Unterstützung zukommen kann. Im Sinne von: Man läßt die Leute dort Erfahrungen sammeln, wo sie es zu tun wünschen, anstatt sie zu Feinden zu stilisieren, gegen die sich der Norden abzuschotten versucht.

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In den Schulen des Kosovo, von denen es zu wenige gibt, wird in mehreren Schichten unterrichtet. Mangel ist das Normale, Not nicht selten. Auch das erinnert an unsere eigene Geschichte; dazu muß man keine hundert Jahre zurückblicken.

Ich denke, es ist schon so, wir können dort ein Stück unserer eigenen Vergangenheit sehen und womöglich auch ein Stück unserer Zukunft. Denn die Regionen werden weiter geschwächt werden, daran habe ich keinen Zweifel. Die Zentren werden weiter Mittel an sich binden und Leute aus der Provinz abziehen.

Laßt uns erst einmal zwei, drei harte Winter hinter uns haben, dann wird ein Staunen sein, was das an den Straßennetzen in den entlegeneren Winken der Oststeiermark bewirkt. Nein, wir haben keinen Grund, uns gegenüber dem Süden erhaben zu fühlen. Es würde mich kaum wundern, wenn es noch dazu käme, daß wir vom Balkan lernen ...

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