27. April 2010 Das Weizer
Krankenhaus ist etwas entlegen und nur über sehr verwinkelte Wege erreichbar. Hast du
Schmerzen? Es geht. War es eine Auseinandersetzung oder ein Arbeitsunfall? Ein
Arbeitsunfall. Bist du wo dagegengeflogen oder ist dir was entgegengeflogen? Er ist wo
dagegengeflogen. Kommst du damit klar? Ja.
Wir gingen nach all dem auf einen Drink. Die Wunde zieht
sich von der Augenbraue in die Stirn. Offenbar noch handlich genug, daß sie nicht
genäht, sondern geklebt wurde. Das hat uns beide ziemlich erstaunt. Ich stamme selbst aus
einer Zeit, wo Wunden zuweilen sogar mit Metallklammern verschlossen wurden, was ich als
ziemlich widerliche Sache in Erinnerung habe.
Es werde eine Narbe bleiben, hieß es, was uns beide
abwinken ließ. Narben sind in meiner Lebensgeschichte Standard und es scheint bei meinem
Buben ebenso zu sein. Nein, daraus leitet sich keineswegs eine heldische Attitüde ab. Ich
habe es selbst erst nach vielen Jahren begriffen. Da ich esoterische Deutungen ablehne,
liegt eine viel pragmatischere Ansicht nahe. Es hat damit zu tun, sich nicht dauernd um
Kanten und Ecken eines Lebens herumzudrücken.
Niemand, besser gesagt, kaum jemand wünscht sich
Schmerzen, sucht sie. Ihnen aber stets ausweichen zu wollen, das ergäbe eine merkwürdige
Vermeidungshaltung als Lebenskonzept. Abrieb in Kauf nehmen. Daraus errichtet sich noch
keine Kerl-Nummer. Ich kenne die weitreichenden Spielarten physischen Schmerzes zu
gründlich, um sehr genau zu wissen, die Kerl-Nummer reicht bestenfalls bis zu dem Moment,
wo einem der Leib aufgerissen wird. Dann beruhigt sich diese Blödheit schlagartig.
Das zeigen uns gängige Filmchen ja nicht. Kerl-Nummer --
Katastrophe -- Danach brüllendes Sterben oder heldisches Schweigen. Was für ein
Blödsinn!
Wenn Haut aufbricht, wenn harte Gegenstände in einen
eindringen, womöglich Knochen brechen, enden die großen Gesten, verebben oder brechen
schlagartig ab. In populären Testosteron-Operetten wird das immer noch ganz
kontrafaktisch abgehandelt. Das ist unsere präfaschistische Dauerpropaganda, die eine
absurde Spielart von Mannsein zelebriert.
Die Kerl-Nummer ist ein Lieblingsmotiv der zuschlagenden
Autoritäten, wie sie gerade wieder im Gerede sind, egal ob sie im Ornat oder in üblicher
Straßenkleidung auftreten. Diese schäbigen Herrenmenschen, denen der Schmerz ANDERER
egal ist und deren harte Posen schnell verfliegen würden, sobald ihnen eine Faust in den
Rachen geschoben wäre, was sich freilich verbietet; aus tausend Gründen.
Was trennt also die Felder? Lieblosigkeit. Wer für den
Schmerz, den er anderen zufügt, taub bleibt, äußert darin ein rohes Herz, das Abscheu
erregt. Aber ein noch tieferes Übel sind mir jene, die sowas schönreden, decken, sich
nutzbar machen. Ganze Imperien beruhen auf Netzwerken solcher häßlicher Herzen. Dazu
finde ich beim besten Willen kein anderes Bild, als daß derlei Netzwerke zerschlagen
werden müssen. Um so mehr, als man sich durch Lieblosigkeit und Gewalttätigkeit Menschen
nutzbar macht wie Haustiere. Das ist eine ziemlich widerwärtige Angelegenheit ...
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