19. Oktober 2008
Ein amüsantes Artefakt. Diese Anweisung war
im Weizer Kunsthaus deponiert gewesen. Die Putzfrauen mögen den Abfall liegen lassen. (Er
könnte zu einem Kunstwerk gehören.) Der Zettel befand sich in der Zone, wo Christian
Eisenberger seine Installation gebaut hatte. [link]
[steirischer herbst]
Das korrespondiert mit einer Email, in der mir
Linda M. Schwarz
geschrieben hatte:
>>Während unseres Gespräches meinte er, dass
sich die meisten Leute unter Kunst noch immer ein Bild oder eine Skulptur
vorstellen.<<
Mit "er" ist der Grazer Galerist
Eugen Lendl gemeint. Es ist den meisten Menschen in Österreich überhaupt nicht klar, was
sich auf dem Kunstfeld während des 20. Jahrhunderts alles ergeben hat, wo "die
Künste" inzwischen angekommen sind.
Das war ihnen freilich auch in früheren
Zusammenhängen nicht gar so klar, wo für Leute meiner Herkunft eine Kirche der einzige
Ort war, um Kunstwerken zu begegnen. Zugänge, Erfahrungen, Kenntnise. Woher soll all das
kommen? Na, von selbst kommt es eben offenbar nicht.
Schwarz schrieb weiters:
>>Die Frage stellte sich mir:
Soll Kunst gesehen werden, wenn JA von wem?
Soll Kunst gekauft werden, wenn JA von wem?<<
Meine Antwort lautete: "ja, sie SOLL,
aber MUSS nicht." Wir haben an Begründungen und Bedingungen laufend zu arbeiten. Es
ist mir meist nicht wichtig ein Publikum zu finden, aber ich freue mich darüber, wenn es
sich reichlich einfindet.
Nein, wer das für einen Widerspruch hält,
läßt folgendes unbedacht: Es geht um den Fokus und um Prioritäten. Ich hatte mich
kürzlich mit einem Künstler überworfen, dessen Verlangen nach Öffentlichkeit so massiv
ist, daß er kein Problem hat, einen "gut verwendbaren, griffigen Titel" zu
forcieren und festzulegen, längst bevor inhaltliche Arbeit geleistet ist.
Mit solchen Modi ist die Grenze hin zur
Werbeagentur überschritten. Das muß Kunstschaffenden natürlich frei stehen. Aber ich
lehne es kategorisch ab, solche Wege zu gehen. Denn das ist die Welt der professionellen
Falschmünzerei.
Vor welchen Hintergründen und
Fragestellungen finden solche Kontroversen statt?
Es geht gesamt um öffentlichen Raum, öffentliche
Diskurse, um niedrigschwellige Bildungs- und Medienzugäge, um Partizipation. Das sind
Stichworte und Positionen einer politischen und soziokulturellen Aufgabensammlung, die zu
bearbeiten niemals bloß Profi-Geschäft sein kann und darf.
Wir Kunstschaffende finden darin ein Rollenangebot
gegenüber etablierten Deutungseliten. Denn um die oben erwähnten Möglichkeiten
einzulösen, müssen aus Untertanen Staatsbürger werden. Dabei geht es, wie angedeutet,
um Partizipation am sozialen, politischen und kulturellen Leben eines Landes.
Dazu werden wir gewöhnlich von Werbeagenturen nicht
angeleitet. Der Ausweg aus feudalen Verhältnissen ist schwierig genug. Die
pyramidenförmige Führergefolgschaft sollte sich in demokratische Reisegesellschaften
(Plural!) transformieren. Nebenbei: Führergefolgschaft ist ein mittelalterliches Konzept,
das Leute wie Hitler in das 20. Jahrhundert heraufholen wollten. (Deshalb auch
Drittes Reich; das Reich ist auch eine mittelalterliche
Kategorie.)
Die Auswege aus solchen Verhältnissen, wie sie etwa
Immanuel Kant als Ausweg aus selbst verschuldeter Unmündigkeit verstanden
hat, können gar nicht anders als von einer Differenz der Geschwindigkeiten
handeln. Ungleichzeitigkeit ist Menschenmaß. (Was nicht bedeuten darf, daß Schnellere
deshalb a priori als Sieger gelten.)
Gerade WEIL das ein so komplexer Prozeß ist, nein,
eigentlich ein unüberschaubares Ensemble von komplexen Prozessen, sind allfällige
Falschmünzer an Schaltstellen der Meinungsbildung eine rückwärtsgewandte
Belastung.
Die Demokratie und die Menschenwürde wohnen nicht auf
einer Nadelspitze, weshalb man zu ihnen auch durch kein Nadelöhr gehen muß. Daher ist
die Verknappung, die Verengung, das Herunterübersetzen auf griffige Titel,
auf schlanke und wendige Stichworte, ein Akt gegen den Mut, die Mühen der
Ungleichzeitigkeit und der Komplexität auf sich zu nehmen.
Die Trommler und die Marktschreier bügeln
Ungleichzeitigkeit und Komplexität zurecht, machen sie schlank und gut geölt, damit
unerfahrene Leute kleine Brocken davon zu schlucken vermögen. So gesehen ist die eingangs
gezeigte Botschaft radikal: Bitte den Abfall liegen lassen! Es könnten
wichtige Details darunter sein!
Dort ist die Kunst zuhause. Im Mut, Erwartungen zu
enttäuschen, in den Halden des Lebens zu wühlen, aus den Stücken, Teilchen und
Ratlosigkeiten Bilder der Welt zusammenzusetzen, die nicht für eine Ewigkeit und drei
Tage gemacht sind, sondern zwischenzeitlich auch verworfen werden.
Wir leben in Tagen, wo Damien Hirst die Kunst- UND die
Finanzwelt gleichermaßen effizient verhöhnt hat, als er -- gerade während eines
weltumfassenden Banken- und Börsen-Crash -- mit einer extra zusammengestellten Kollektion
in einem Auktionshaus viele Rekorde brach, während er sogar seine eigenen Galeristen [white cube] [gagosian] in den
Zuschauerraum verwies.
Schlank und gut geölt. Heute, da einer der
gewissenlosesten Politik-Karrieristen und Haßprediger Österreichs Zweiter Republik nach
seinem brutalen Tod aus Betrunkenheit und Raserei zum James Dean der
Innenpolitik umgekupfert wird. Ein Katastrophen-Surfer, profiteur des Elends anderer.
Francis Ford Coppola hat uns in "Apocalypse now" einen
Prototypen dessen vorgeführt. Den Lieutenant Colonel Bill Kilgore, der während einer
Attacke auf ein vietnamesisches Dorf einigen seiner Leute frei stellt: Du gehst mit
mir surfen oder du kämpfst dort drüben gegen Charly.
Surfen auf den Wogen der Medienleute und
Werbetexter. Sehr verlockend ...
[kontakt] [reset] [krusche] |