27. November 2007

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Graphic Novelist Jörg Vogeltanz meidet Alkohol konsequenter als so mancher brave Moslem, weiß aber, wie man sieht, kräftigen Kaffee zu schätzen. So bei der "ncc07" unter einem Ensemble mit dem Titel "Belgrad Ormani", was so viel wie "Belgrader Wald" bedeutet. Ein Areal nördlich von Istanbul, wo einst Süleyman I. serbische Kriegsgefangene angesiedelt hat.

Wenn uns heute vaterländische Kräfte ausmalen wollen, wie sehr das Kriegerische zwischen Christen und Muslimen immer dominiert habe, dann unterschlägt so eine Schilderung, daß in der Feudalzeit aller Fürsten jederzeit Krieg geführt haben, wann immer ihre Kräfte und Mittel das zuließen, weil sie so ihre Lebensgrundlagen, nämlich Grund und Boden plus Leibeigene, im günstigsten Fall vermehren konnten.

Die Vaterländischen verschweigen uns ferner ganz konsequent die Früchte der laufenden Wechselbeziehungen wenigstens der letzten 500 Jahre. Kaffee und Strudel hab ich in einem aktuellen Dokumentations-Blatt von "next code: coffee" schon als Beispiel solcher Früchte herausgestellt.

Es gibt ein berührendes Beispiel für solche Ereignisse auch in die andere Verlaufsrichtung. Ich wußte aus Literatur, daß der Johann "Schani" Strauß eine Einladung nach Istanbul angenommen hatte, um dort einige Konzerte zu geben. Seine Musik hat dort einen so enormen Eindruck gemacht, daß sich der wohl bedeutendste osmanische Komponist dieser Epoche, Dede Efendi, davon zu einem Lied anregen ließ, das bis heute enorm populär sein soll. log1055c.jpg (15578 Byte)

Kuriose Randnotiz: Wir hatten bei der heurigen Station "next code: love" auch Gäste aus der Türkei im Projekt und Kuratorin Övül Durmusoglu gilt als vorzügliche Sängerin. Als ich einmal spät in der Nacht in einem oststeirischen Beisl, das als irische Pub aufgebrezelt ist, von diesem Wien-Istanbul-Bezug erzählte, begann Övül das Lied zu singen: [mp3-file, 723 kb] [the page]

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Aber zurück zur "ncc". Jörg Vogeltanz führt eine Sendeleiste auf Radio Helsinki; den "Nekrolog". (Man ahnt, warum hier manchmal von "meinem Dämon Vogeltanz" die Rede ist.) Da wird mit einigem Augenzwinkern Sterbendes betrachtet, aber vor allem der Lebendigkeit angehangen.

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Jürgen Kapeller hat bei dieser Serie inzwischen zum Co-Moderator avanciert, was zuweilen für unerwartete Spannungsbögen sorgt. Die zwei Männer sind sowohl im Diskurs, wie auch in den musikalischen Neigungen jederzeit bereit, sich weit aus dem Fenster zu lehnen.

Die Folge, welche bei der "ncc" entstanden ist, handelt von ein paar Überlegungen, die sich mit der auf technische Medien gestützen Kommunikation befassen. Solche Debatten durchlaufen meist Markierungen mit den Aufschriften: Definitionskompetenz, Definitionsmacht, Komplexitätsreduktion etc.

Wir waren uns weitgehend einig, daß wir uns in manchem gar nicht einig sind. Darin aber schon: Die alte "Broadcasting-Nummer" (Ein Sender -- viele Empfänger) ist beunruhigend und abzulehnen. Was tun? Dagegenhalten. (Leicht gesagt!) Nun ist auch die "ncc" Beispiel und Anlaß dafür. Dagegenhalten. Selbst wenn kein Anlaß besteht, das überzubewerten, denn Major-Companies des Mediengeschehens sind ja eigene "Kontinente", denen man sich auf Inseln gegenüber befindet. Aber wo aus der Telepräsenz heraus immer wieder gute Gründe entstehen, sich im "Realraum" konkret zu treffen, entstehen allerhand neue Optionen.

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Eine der Crews hat das in ihrer "Anschrift" vor Ort explizit gemacht: Den Realraum. Übrigens! Gerade im "Realraum" wird schon längst und intensiv mit "Raum-Phantasmen" operiert, wo EDV noch gar keine Rolle gespielt hat. Ich hatte bei der "ncc" einige Erörterungen des jüngsten Auftrittes einer "Nationalen Volkspartei", in deren holprigem Programm es anfangs heißt:

>>Österreich ist Teil des deutschen Sprach- und Kulturraumes<<

Das sind ganz nebulöse Raum-Metaphern, für deren Plausibilität sich meist nur schwer ausreichender Brustton der Überzeugung aufbringen läßt. Wie soll auch etwas derart Dynamisches wie Sprache oder Kultur geeignet sein, etwas eher Statisches wie einen "Sprach- und Kulturraum" zu generieren?

NVP-Personal ist gedanklich an den Nazi geschult, das illustriert dieses Grüppchen mit dem Design seines Auftrittes mehr als deutlich. Es gibt viel populärere Leute, die ganz unbedarft in ähnliche Hörner stoßen, ohne daß ihnen etwas aufzufallen scheint. So war ich sehr verblüfft zu hören, womit sich Rainhard Fendrich nun endgültig ins heimische Schnösel-Fach drängt:

>>Rainhard Fendrich stellt am 18. November seine EURO-Hymne "Wir sind Europa" gemeinsam mit den Wiener Sängerknaben im ZDF vor.<< [Quelle]

Reichlich besinnungslos freut er sich über diesen Job, wo es es an zentraler Stelle heißt:

>>Wir sind Europa, / Das Herz dieser Welt, / Stehen zusammen wie Blumen im Feld, / Sind zwar verschieden in Denken und Reden, / Und doch verbunden durch eigenen Stolz.<<

"Gut Holz!" möchte man da noch mit dem Gruß von Kegelfreunden dazureimen. Was legitimiert denn solche Schnösel "uns" als "Das Herz dieser Welt" hervorzutun? Diese eurozentristische Lustigkeit ist genauer betrachtet ... das Herz der Conquista.

["next code: coffee", die Dokumentation]


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