17. September 2007 Vaterländische
"Idiotes" wedeln wieder verstärkt mit ihren Hintern auf dem Boulevard. Was mag
damit gemeint sein? Unter "Idiotes" verstand man in der griechischen Antike
Menschen, die sich nicht für die Welt, sondern nur für sich selbst, für ihre
Angelegenheiten und Vorteile interessieren.
Mit dem Arsch zu wackeln ist eine bei Mensch und Tier
bewährte Art sich anzubiedern. Und der Boulevard ist jene (unter anderem) Presse-Strecke,
auf der man für komplexe Probleme simple Antworten anbietet.
Meine eigene Erfahrung besagt, daß man sich da nicht
einmal scheut, vorsätzlich Lügen zu formulieren und zu drucken, wenn sich darin leichte
Zustimmung verspricht. Gegen solche Verfahrensweisen läßt sich nur wenig ausrichten;
außer zu widersprechen.
Philosoph Erwin Fiala hat in seinem Vortrag zur Frage
"Was
sind Medien?" mehr als einmal nachdrücklich betont: "Informationen sind
nicht Wissen". Was darauf hinweist, daß man mit Informationen allerhand Geschäfte
betreiben kann, vor allem auch die der Unterhaltung, da muß es nicht zwingend um
Wissensbildung gehen.
Auf dem Boulevard werden auch politische
Zuschreibungen zu beliebig besetzbaren Positionen zurechtgekupfert. Das läßt sich zum Beispiel durch dieses kuriose Fundstück
illustrieren, wo der satt rechts aufgestellte Hace Strache den Ikonencharakter des links
aufgestellten Ernesto "Che" Guevara für sich nutzbar macht. (Quelle)
Zusätzlich gibt sich da etwas als Sachverhaltsdarstellung
aus, das keiner noch so schlampigen Überprüfung standhielte:
>>Strache: Radikaler Islamismus in Europa ist
Resultat falscher Zuwanderungspolitik<< |
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Die kausale Verknüpfung von
"Islamismus" (= "politischer Islam", nicht die Religion Islam) und
"Zuwanderungspolitik" ist purer Blödsinn. Das ist weder politisch, noch
soziologisch, noch zeitgeschichtlich argumentierbar. Aber es ergibt eine schlanke
Schwanzfeder, mit der sich gut wackeln läßt.
Auf dem Boulevard finde ich also Zustände, in denen
Konventionen, Zeichen und Deutungen je nach Tagesverfassung beliebig umgekupfert und
rekombiniert werden, um den jeweils eigenen Ansichten oder mindestens: Behauptungen den
Anschein von Gewicht zu geben.
Das ist so eine Art
"Auffassungs-Bordell", in dem Effekte gegen Geld und Prestige gewechselt werden.
Da überrascht dann kaum noch, daß auf dem Boulevard gerne verkündet wird, die
"hart arbeitende Bevölkerung" habe ein Recht auf solche "Klarheiten"
und honoriere dies; etwa mit Abonnements und Wahlergebnissen. Vorigen Mittwoch konnte man in "Der Standard" nachlesen, welches Selbstverständnis in diesem
Geschäft den Heilsbringern innewohnt; denn da wird ganz offenbar mit Heilsversprechen
gedealt. Vor allem der Tonfall des Michael Jeannée mit seiner Berufung auf göttliche
Dimensionen zeigt sich darin ganz unmißverständlich.
Talent, Genie, Gottesgabe; es ist bedrückend, eine gut
situierten Journalisten so erbärmlich vor seinem Dienstherren auf den Knien rutschen zu
sehen.
"Das Ohr am Volk" haben als zentrale Qualität zu
behaupten, das ist freilich verräterisch. |
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Selbstverständlich hat man auf dem
Boulevard das Ohr am Volk. Aber aus welchen Gründen? Doch nicht etwa, um die Nähe zum
Volk zu genießen und zu würdigen. Nein, das sind Marketing-Schritte. Da wird
überprüft, ob man den Zirkelschluß "selbstreferenzielle Wahrheitsproduktion:
breites Echo: wachsende Auflagen" ausreichend geölt hat.
Dazui fehlt es auch nicht an der weitreichenden
"Boulevardisierung" der Politik. Aktuelles Beispiel gefällig? Im "profil" stand vor einem Weilchen
folgendes Zitat:
Nun hat der christlichsoziale Pröll in seinem Leben ja,
wie er bekannte, ein Buch gelesen, das war aber nicht etwa die Bibel, sondern eine eher
unerhebliche Schwarte von Karl May. Der, May, hatte sich dadurch hervorgetan, daß er das
angeblich "Artfremde" nach Kräften mied und sich die Welt außerhalb seines
Horizonts einfach so zurechtschrieb.
Was tut Pröll hier? Worauf bezieht er sich? Was ist denn
die "Art", der gegenüber Minarette das "Artfremde" seien? Welches
Österreich oder gar Europa meint Pröll da? Ist die Art etwa jene, welche das
weströmische Christentum diesem Europa eingeschrieben hat? Die Art des "christlichen
Europas"? Also zum Beispiel zwei Jahrtausende Judenhaß und Judenhatz, aus denen die
Nazibarbaren ihre Ermutigung zum Holocaust bezogen?
Welche Arten und kulturellen Normen werden da auf dem
Boulevard verhandelt? Oder besser: Dahinbehauptet? Das ist eine sehr üble Art, mit dem
Hintern zu wackeln.
[Wir
Kinder des Kalten Krieges]
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