5. Juli 2007 Es
wäre nicht das erste Mal, bei dem einem auffallen könnte: Da erscheinen
Selbstmordattentäter, die sind keine "Modernisierungsverlierer", keine
aussichtslosen Nachgeborenen, keine radikalen Gewalttäter aus irgend einem Armutsgürtel
er Welt. Das sind Gebildete, teils im Westen aufgewachsen, keineswegs sozial am Rande
stehende ... Konsequent titelt nun "Der
Standard"-Kolumnist Hannes Rauscher:
Ich hab nach den aktuellen Terrorattacken ein
Foto gesehen, auf dem einer der Verdächtigen mit Frau, Kind und Schwiegermutter
abgebildet ist. Rauscher, ein kluger Westeuropäer, hat nicht die geringste Vorstellung,
was so einen Mann bewegen könnte, sein Leben hinzuwerfen, seine Familie zu verlassen und
ihm völlig fremde Menschen ins Unglück zu stürzen.
Weil Rauscher sich also "normale"
Motive dafür nicht ausmalen kann, unterstellt er pathologische, nennt "massive
Indoktrination, eine Art Gehirnwäsche". Also ein Höchstmaß an Fremdbestimmung,
unredliche Einwirkung von außen. Er schließt seinen Kommentar so:
>>Diese Terroristen aus der Mittelklasse weihen
ihr Leben der reinen Zerstörung.<<
Aber ich glaube es nicht. Das ist mir zu
simpel, um mich zu überzeugen. Es leuchtet mir nicht ein. Solche Erörterungen rühren
vor allem einmal prinzipiell an der Frage, ob wir uns vorstellen können, daß jemand
"gute Gründe" hat, um seine Familie zu verlassen, sein eigenes Leben zu beenden
...
Da dieser Tage gerade zu erfahren war, daß
Kriegsdienstverweigerer Franz
Jägerstätter selig gesprochen wird:
>>Der Vatikan hat bestätigt, dass die
Seligsprechung des Märtyrers Franz Jägerstätter am 26. Oktober 2007 um 10.00 Uhr im
Linzer Mariendom erfolgen wird.<<
... muß man sagen: Ja, wir kennen sowas wie
"gute Gründe" dafür. Es gibt auch in "unserer Kultur" Beispiele
dafür. Nun hat sich zwar Jägerstätter von den Nazi töten lassen, weil er kein Gewehr
in die Hand nehmen wollte. Das ist eine essenziell andere Situation als ein brennendes,
mit Bomben bestücktes Auto in ein Flughafengebäude zu fahren.
Aber was jemandem "gute Gründe"
sind, um sein Leben hinzuwerfen, läßt sich ja nicht "von außen" bewerten,
sondern wird IN diesem Menschen geklärt. Indoktrination? Gehirnwäsche? Mag sein. Doch
was könnte einem dabei noch auf- und einfallen?
Ein Hauch Geschichtskenntnis kann helfen;
gemischt mit dem Verzicht auf "Übertragungen", also auf die Neigung, eigene
Prinzipien als allgemein, womöglich weltweit normativ zu betrachten und anderen Menschen,
vor allem solchen aus anderen Kulturen, als "ihre Werte" zu unterstellen,
aufzudrängen. Gemessen an unseren dominanten Wertvorstellungen müßte man freilich zu
dem Schluß kommen, diese Jungs seien krank, abartig, sowas wie "Gehirnzombies",
was weiß ich.
Aber beschränkt man sich einmal auf die nur
flüchtige Betrachtung der letzten 200 Jahre, fällt einem auf: Da ist ein raffgieriger,
räuberischer "Westen", der sich bisher durch nichts, absolut nichts aufhalten
ließ, sich andere Kulturen zu unterwerfen, gefügig zu machen, sie bei Bedarf
auszulöschen.
Sie meinen, ich übertreibe? Na, ich werde in
der Sache gerne noch konkreter. Entweder sind es Armeen oder große Firmen aus Amerika und
aus Europa, die bei ausreichender Begehrlichkeit über große Teile der Welt herfallen und
sich nehmen, was ihnen beliebt. Völkerrecht? Menschenrecht? Kein Problem!
Nur einige ausgewählte Punkte auf einem
Zeitpfeil zum Drüberstreuen:
+) Haben etwa die Niederlande nach dem Zweiten Weltkrieg versucht, sich ihre alten
Kolonien in Indochina einfach wieder zu nehmen? Ja oder nein?
+) Hat der Shell-Konzern den Lebensraum der Ogoni im Nil-Delta weitgehend zerstört und
konnte man dabei den Verdacht, in die Ermordung Ken Saro Wiwas verstrickt zu sein, nie
entkräften? Ja oder nein?
+) Werden gerade eben in Indonesien Bauern ihrer Ländereien beraubt, damit große
Companies Europas extrem steigende Nachfrage an Palmöl decken können? Ja oder nein?
Zum Nahen Osten und die dort evidenten
Machenschaften europäischer und amerikanischer Kräfte bin ich noch gar nicht gekommen.
Lassen Sie es mich knapp fassen: Allein "unsere", also des "Westens"
weltweite Aktivitäten im nur eigenen Interesse, verbunden mit einem ausdauernden
Verhöhnen, Erniedrigen und Überwältigen von Muslimen, füllt nicht Bücher, sondern
Bibliotheken.
Ja, Muslime verschiedener Schulen tun auch
einander wechselseitig die furchtbarsten Dinge an. Und und und. Aber es ging mir vorhin
vor allem um die Frage, ob Dschihadis, die im Westen aufgewachsen sind und sozial einer
bürgerlichen Mittelschicht angehören, aus IHRER Sicht gute Gründe haben könnten, die
wir auch VERSTEHEN würden. (Man muß sie keineswegs billigen.)
Ich habe vorhin angedeutet, Armeen oder große
Firmen des "Westens" seien offenbar lange durch nichts und niemanden aufzuhalten
gewesen, wenn sie sich räuberisch über andere Völker hergemacht haben. Das geschah und
das geschieht bis heute. Und es scheint sich in die Zukunft fortschreiben zu wollen.
Wären da nicht vor einigen Jahrzehnten im
Libanon einige Hisbollahis draufgekommen, daß ein Mann, der zu sterben bereit ist, wenn
er sich eine Bombe umschnallt, die härteste und am besten gerüstete Armee der Welt hart
treffen kann, deren Soldaten töten und mit Material im Gegenwert nur weniger Dollar des
Feindes Millionen teures Kriegsgerät zerstören kann.
Seit nun Muslime in Selbstmordattentaten nicht
mehr bloß militärische Ziele angreifen, sondern schon geraume Zeit zivile Ziele wählen,
ist deutlich geworden: Die ursprünglich machtlosen, Ohnmächtigen, konnten ihre Wirkung
gegen jene, die als Aggressoren empfunden werden, enorm erhöhen. Und keine Armee im
Erdenrund kann das aus der Welt schaffen.
Mißverstehen sie mich bitte nicht. Ich finde
diese Entwicklung furchterregend. Ich kann keinem Aspekt solcher Strategien zustimmen.
Aber es hilft mir diese Annahme über Zusammenhänge, Dschihadis insofern zu begreifen,
als ich sie nicht für "Zombies" halte, für "Gehirnkranke", sondern
für Menschen, die "gute Gründe" haben. Gründe, über die etwas herauszufinden
man sich die Mühe machen kann. Denn es gibt Kausalketten, die zu uns führen ...
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