19. April 2007

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Siegbert Rosenberger hatte sich eine anspruchsvolle Themenstellung vorgenommen: "Die Zeit der NS-Herrschaft im Raum Gleisdorf und dessen (sic!) Aufarbeitung bis zur Gegenwart". Daß es zur Volksabstimmung damals 100 % Ja und keine einzige Nein-Stimme gegeben hatte, ist also nun offen gesagt worden.

Darüber hinaus herrscht nach so vielen Jahrzehnten immer noch diese dumpfe Hemmung, die man uns wohl schon als Kindern beigebracht hat, die sich mindestens darin ausdrückt: Namen werden nicht genannt. Es liegt eine Magie auf den Namen. So muß es sein. Da wurden nach Kriegsende Männer der SS und anderer Naziverbände zur Wahl in den Gemeinderat aufgestellt, und das kann HEUTE nicht einmal entspannt und unaufgeregt referiert werden; im Sinne von: "Für das Jahr sowieso wäre festzustellen, daß folgende Herren kandidiert haben ..."

Immerhin war zu erfahren, daß Gleisdorf schon am 20. April 1933 des Führers Geburtstag gefeiert hat. Man war hier längst vor der Machtergreifung der Nazi für die "neue politische Kraft" eingenommen und eher stark antiklerikal eingestellt. Es ist eine durchaus amüsante Vorstellung, daß man alle Geschäfte geschlossen und die Rolleaus vor den Fenstern herunter gezogen hatte, so daß der Innenminister von Dollfuß, Emil Fey, bei seinem offiziellen Besuch durch eine Geisterstadt wandeln durfte. (Ein Mann, der beim Einmarsch der Nazi Selbstmord begangen hatte.)

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Durch den ganzen Abend zog sich eine Tendenz zur Verniedlichung, die ihren Höhepunkt in der letzten Wortmeldung zur Veranstaltung fand. Der Bürgermeister von Ludersdorf, der als Zehnjähriger über die Heldenattitüde seines Lehrers gestaunt haben will, hatte sein Statement mit der Routine eines Grabredners beim Kameradschaftsbund auf den Punkt gebracht, daß schon Churchill gewußt haben soll, die Demokratie sei die schlechteste aller Formen, aber "er kennt keine andere und, räusper, vor allem keine bessere."

Vom Historiker zum Zeitzeugen zieht sich dieses irritierende Flair eines "das war halt so". Daß die Tyrannis so niedlich gewesen sein soll, ist schwer zu schlucken. Aber es war ein sehr anregender und aufschlußreicher Abend. Denn nie zuvor ist mir so klar aufgefallen, was wir gemacht haben und wie wir es gemacht haben. Wie wir die Kurve gekriegt haben:

Das Nazi-Intermezzo als Folklore. Damit können wir geltend machen, uns dieser Vergangenheit zu stellen, ohne riskieren zu müssen, die Kontinuitäten, in denen wir, genau: wir, und heute, ohne also riskieren zu müssen, daß diese Kontinuitäten dargelegt werden müssen. Was ja Konsequenzen verlangen würde ...

Cut!

Apropos Kontinuitäten. Das aktuelle Massaker aus den Vereinigten Staaten dominiert gerade unsere Medien. Man mag eben noch staunen, daß eine Nation andauernd die ganze Welt aufräumen möchte, aber nicht mal das Know how hat, ein Gewalt-Crescendo, das sich über Stunden entfaltet hat, also eine Schießerei, ein Morden in mehreren Sessions, insofern abzufangen, als man nach den ersten Schüssen wenigstens die Passanten vom Tatort fernhält und die Umgebung mit Informationen versorgt.

Das Genre mit dem schwer bewaffneten Kerl, der erlittene Kränkungen mit Blut abzuwaschen gedenkt, ist ein beliebtes Sujet. Dieser Vigilanten-Typus wird uns durch die Jahrzehnte immer wieder prächtig auf die Bühne gestellt. Charles Bronson, Michael Douglas ... in der April-Ausgabe des "M-Magazins" ("My Entertainment") ist es gerade Mark Wahlberg.

Motto: "Erst ging es um die Ehre. Jetzt geht es um Gerechtigkeit." Genau! Ehre und Gerechtigkeit. Leib und Leben. Mit der Waffe in der Hand. Was hat nun dieses Adaptieren der "Duellanten-Ethik" mit den oben erwähnten Kontinuitäten zu tun?

Österreichs Politik wird gerade von einem Waffennarren erfrischt, der Meinungsunterschiede vorzugsweise mit der Blankwaffe reguliert.

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Der vaterländische Hace Strache hat die furchterregende Vorstellung, es solle mehr Schußwaffen in den Händen "rechtschaffener, unbescholtener Bürger" geben. Eine Idee, die jedem Sicherheitsexperten den Schweiß auf die Stirn treiben müßte:

>>Rot-schwarze Politik liefert die Bürger den Kriminellen schutzlos aus / Für ein liberaleres Waffenrecht für bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte, Juristen, Taxifahrer, Trafikanten etc. und für rechtschaffene unbescholtene Bürger sprach sich heute FPÖ-Bundesparteiobmann HC Strache aus. Er begründete dies mit der immer schlimmer werdenden Sicherheitsmisere in Österreich, gegen die von der Regierung nichts unternommen werden. "Die rot-schwarze Politik liefert die Bürger den Kriminellen schutzlos aus."<< [Quelle]

Wir haben gute Gründe, das Gewaltmonopol dem Staat zu überlassen. Dort fällt es den Leuten schwer genug, gut trainierte Profis an das strenge Regelwerk des Waffengebrauchs zu binden. Die Strache-Phantasie der bewaffneten Bürger ist nicht einmal vergangenen Jahrhunderten geschuldet, sondern einer cineastischen Traumfabrik.

[Wir Kinder des Kalten Krieges]


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