22. September 2006
Es ist eine eigentümliche Wucht in diesen Arbeiten, die
teils mehr als ein halbes Jahrtausend alt sind. Wenn man das Grazer Diözesanmuseum
besucht, bietet sich Gelegenheit, einen Eindruck von diesem kraftvollen Prozeß zu
gewinnen, in dem sich Selbstverständnis und Weltsicht der Menschen verändert hat. Weil
sich dieser Prozeß in so einer Sammlung sehr eindrucksvoll abbildet. Das ist ein Prozeß,
in dem sich die Menschen den jeweiligen Platz oder Standort in ihrem Verhältnis zu ihrem
Gott gesucht und beschrieben haben. Man könnte sagen: Bezugspunkt war der "Souverän
außerhalb". Der "Westliche Weg" ist einer der Emanzipation gegenüber
diesem Souverän. Ob man annimmt, er sei abgelegt oder nach innen verlegt worden, ist wohl
eine Sache der persönlichen Deutung. Und "der Osten"? (Unten: Mirjana Selakov
bei ihrem Vortrag
über Ikonen.)
Was ich bisher nicht wußte, die Ikonen der Orthodoxie
visualisieren ein völlig anderes Verhältnis des Menschen zu ihrem Dasein. Da blickt
nicht das Individuum auf die Welt, sondern es zeigt sich in der Ikone eine Art der
"in der Mitte stehenden" Abstraktion in einem Moment, da Gott auf den Menschen
blickt. Der Mensch blickt nicht, er wird erblickt. Vielleicht auch: was in unseren Mythen
der Atem ist, mag da der Blick sein: erschaffend.
Während also im Westen der Künstler gegenüber dem
Auftraggeber (Gott, Bischof, Fürst) und seinem Werk herausgetreten ist, um selber eine
neue Rolle einzunehmen (Renaissance), ist die Kunst des Ostens noch sehr lange von diesem
"in between" bestimmt, geprägt gewesen.
Menschen- und Weltbild. Was haben wir übersehen,
das uns die Verständigung mit "dem Osten", dem vor allem slawischen, aber auch
dem muslimisch geprägten Nahen Osten so schwer macht? Es kann ja nicht so sein, daß wir
erneut, wie schon einmal: als "Kolonialmacht Europa", allen anderen Kulturen in
naher und mittlerer Entfernung zurufen: Ihr müßt so werden wie wir!
Wahlweise, wie die aktuell xenophoben Populisten zu rufen
belieben: "Grenzen dicht! Und ab nun wird hier nur noch deutsch gesprochen!" Das
sind schwer erträgliche Blödheiten, die schon Ende des 19. Jahrhunderts den
Nationalismus befeuert haben, der unsere Leute in ein paar bittere und entwürdigende
Katastrophen geführt hat.
Dieser "Westen" mit seinen "abendländischen
Werten" steht zum Beispiel dafür (Quelle: "Der Standard"):
Und die lauteste, wenn auch nicht überzeugendste Antwort
mächtiger Männer klingt so: Krieg! Ein Krieg der "Herrenmenschen" gegen andere
Kulturen. Wofür die Weltuntergangssekte der Dschihadis billige Vorwände liefert. Nichts
Neues. Alles ganz strikt 19. und 20. Jahrhundert.
Dem gegenüber gibt es zum Glück auch ermutigende Signale.
Heute morgens war bei der APA zu lesen:
>>Abbas sagte Anerkennung Israels zu / Der
palästinensische Präsident Abbas hat die Anerkennung Israels durch die Palästinenser
zugesagt. Außerdem werde die künftige Palästinenserregierung alle Abkommen anerkennen,
die zwischen der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) und der israelischen
Regierung abgeschlossen wurden, sagte Abbas am Donnerstag (Ortszeit) vor der
UNO-Vollversammlung in New York.<<
Das ist die beste Nachricht, die ich seit langem in diesen
Zusammenhängen erfahren hab. In der gleichen Ausgabe stand auch, daß der Chef der
ältesten Firma der Welt sich nun offenbar nachhaltig um Deeskalation bemüht:
Es schadet ja nicht, erneut darüber nachzudenken, ob denn
zwischen Kritik und Herabwürdigung kategoriale Unterschiede bestehen und ob wir dazu
brauchbare Kriterien finden können, die dann anzuwenden wären, wenn wir den Antrieb
verspüren, und anderen Kulturen gegenüber kritisch zu äußern ...
[Wir
Kinder des Kalten Krieges]
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