22. September 2006

log798a.jpg (19190 Byte)

Es ist eine eigentümliche Wucht in diesen Arbeiten, die teils mehr als ein halbes Jahrtausend alt sind. Wenn man das Grazer Diözesanmuseum besucht, bietet sich Gelegenheit, einen Eindruck von diesem kraftvollen Prozeß zu gewinnen, in dem sich Selbstverständnis und Weltsicht der Menschen verändert hat. Weil sich dieser Prozeß in so einer Sammlung sehr eindrucksvoll abbildet. Das ist ein Prozeß, in dem sich die Menschen den jeweiligen Platz oder Standort in ihrem Verhältnis zu ihrem Gott gesucht und beschrieben haben. Man könnte sagen: Bezugspunkt war der "Souverän außerhalb". Der "Westliche Weg" ist einer der Emanzipation gegenüber diesem Souverän. Ob man annimmt, er sei abgelegt oder nach innen verlegt worden, ist wohl eine Sache der persönlichen Deutung. Und "der Osten"? (Unten: Mirjana Selakov bei ihrem Vortrag über Ikonen.)

log798b.jpg (27650 Byte)

Was ich bisher nicht wußte, die Ikonen der Orthodoxie visualisieren ein völlig anderes Verhältnis des Menschen zu ihrem Dasein. Da blickt nicht das Individuum auf die Welt, sondern es zeigt sich in der Ikone eine Art der "in der Mitte stehenden" Abstraktion in einem Moment, da Gott auf den Menschen blickt. Der Mensch blickt nicht, er wird erblickt. Vielleicht auch: was in unseren Mythen der Atem ist, mag da der Blick sein: erschaffend.

Während also im Westen der Künstler gegenüber dem Auftraggeber (Gott, Bischof, Fürst) und seinem Werk herausgetreten ist, um selber eine neue Rolle einzunehmen (Renaissance), ist die Kunst des Ostens noch sehr lange von diesem "in between" bestimmt, geprägt gewesen.

Menschen- und Weltbild. Was haben wir übersehen, das uns die Verständigung mit "dem Osten", dem vor allem slawischen, aber auch dem muslimisch geprägten Nahen Osten so schwer macht? Es kann ja nicht so sein, daß wir erneut, wie schon einmal: als "Kolonialmacht Europa", allen anderen Kulturen in naher und mittlerer Entfernung zurufen: Ihr müßt so werden wie wir!

Wahlweise, wie die aktuell xenophoben Populisten zu rufen belieben: "Grenzen dicht! Und ab nun wird hier nur noch deutsch gesprochen!" Das sind schwer erträgliche Blödheiten, die schon Ende des 19. Jahrhunderts den Nationalismus befeuert haben, der unsere Leute in ein paar bittere und entwürdigende Katastrophen geführt hat.

Dieser "Westen" mit seinen "abendländischen Werten" steht zum Beispiel dafür (Quelle: "Der Standard"):

log798c.jpg (13614 Byte)

Und die lauteste, wenn auch nicht überzeugendste Antwort mächtiger Männer klingt so: Krieg! Ein Krieg der "Herrenmenschen" gegen andere Kulturen. Wofür die Weltuntergangssekte der Dschihadis billige Vorwände liefert. Nichts Neues. Alles ganz strikt 19. und 20. Jahrhundert.

Dem gegenüber gibt es zum Glück auch ermutigende Signale. Heute morgens war bei der APA zu lesen:
>>Abbas sagte Anerkennung Israels zu / Der palästinensische Präsident Abbas hat die Anerkennung Israels durch die Palästinenser zugesagt. Außerdem werde die künftige Palästinenserregierung alle Abkommen anerkennen, die zwischen der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) und der israelischen Regierung abgeschlossen wurden, sagte Abbas am Donnerstag (Ortszeit) vor der UNO-Vollversammlung in New York.<<

Das ist die beste Nachricht, die ich seit langem in diesen Zusammenhängen erfahren hab. In der gleichen Ausgabe stand auch, daß der Chef der ältesten Firma der Welt sich nun offenbar nachhaltig um Deeskalation bemüht:

log798d.jpg (28869 Byte)

Es schadet ja nicht, erneut darüber nachzudenken, ob denn zwischen Kritik und Herabwürdigung kategoriale Unterschiede bestehen und ob wir dazu brauchbare Kriterien finden können, die dann anzuwenden wären, wenn wir den Antrieb verspüren, und anderen Kulturen gegenüber kritisch zu äußern ...

[Wir Kinder des Kalten Krieges]

[kontakt] [reset]

38•06