14. Mai 2006 Woody Allen
hat mit "Match Point" einen atemberaubend präzise erzählten und fotografierten
Film vorgelegt. In dem der attraktive Schuft Chris Wilton (gespielt Jonathan Rhys Meyers)
sich in die Upper Class einzuheiraten bemüht. Wofür er sich am Angang des Filmes mit dem
kulturellen Codex dieser Schicht abarbeitet. Woody Allen zeigt ihn unter anderem für
einen Augenblick mit Dostojewskij.
Wilton wird sich später sein Mordunternehmen genauso
zurechtlegen, wie es Rodion Raskolnikow in "Schuld und Sühne" getan hat. Das
Unternehmen Hewett, in dem Wilton Karriere macht, läßt Allen im Londoner "Swiss
Re"-Gebäude des renommierten Architekten Norman Foster residieren.
Dessen Spitze praktisch vor meine Haustüre gefertigt
worden ist. Hier in der Oststeiermark. Was ich vor einiger Zeit nur durch Zufall entdeckt
hatte. Als Anja Kaufmann und Florian Merkur aus der Schweiz hier zu Besuch waren. Und ich
bei Vorstand Karl Grabner eine Besichtigung der Betriebsstätten von Binder + Co erbeten hatte. Weil uns
diese Technologie und Materialien gleichermaßen faszinieren. Das wurde eine sehr schöne Session.
Merkur hatte in einem Winkel der Werkstätten diesen
Metallspind entdeckt, das Gebäude auf den Bildern erkannt, und gefragt, was es damit auf
sich habe. So erfuhren wir die Geschichte. Was eine anregende Episode ist, wenn man
darüber nachdenkt, was mit "Provinz" gemeint sein mag.
Dabei geht es ganz grundlegend um Fragen der Wahrnehmung.
Denn was in einer Region geschieht, was davon wahrgenommen und wie es gedeutet wird, ist
offenbar vor allem eine Angelegenheit der Erwartungshaltungen. Und der Kenntnis des Codex.
Wie im Film von Woody Allen. Mit dem Codex vertraut zu sein, bedeutet eben, kanonisierte
Werke zu kennen. Also jene Werke der verschiedenen Kunstgenres, die als maßgeblich
gelten. Das "Swiss Re" gehört definitiv dazu. (Wozu sich die Stadt,
Gleisdorf, in keiner Weise bezogen sieht.)
Weshalb ich das erzähle? Ich denke gerade über das Thema
Zensur nach. Weil dieser Begriff in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken immer wieder
zur Sprache kommt. Zensur setzt einen Zensor voraus. Der ein System repräsentiert, meist
ein staatliches Regime, von dem Publikationen zu prüfen und zu kontrollieren gewünscht
werden. Die Organe solcher Systeme greifen vorab oder hinterher in die Fragen der
Veröffentlichung ein. Sie verbieten oder beschlagnahmen. Das heißt zensurieren.
So mancher Vorfall, der in Europa den Ruf
"Zensur!" laut werden läßt, hat damit gar nichts zu tun, handelt von ganz
anderen Kräftespielen. So oder so, Codex und Kanon, das sind eben sehr relevante
Kategorien in diesen Debatten.
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