22. März 2006 Nun
haben mich natürlich Fragen erreicht. Ob ich denn mit einem Tyrannen befreundet oder aber
auch bloß ihm nahe sein möchte. Hm. Schwer zu sagen. Weil ich doch weiß, daß
Freundschaft, daß starke Emotionen rational nicht gar so verhandelbar sind. Irgendwie
taugt die Frage nicht viel. Wenn man sie so stellt.
Ich hab einen Serienmörder gekannt. Mehr als
nur flüchtig. Aus dieser Erfahrung weiß ich zumindest, der war für mich kein angenehmer
oder anziehender Mensch. Ich hätte mir keine Freundschaft mit ihm gewünscht.
Ich bin mit Menschen aufgewachsen, über deren
Rollen im Zweiten Weltkrieg ich mir nicht all zu nette Illusionen machen kann. So denke
ich, es muß in solchen Fällen anders, präziser gefragt werden.
Zu allererst würde ich gerne wissen: Was hat
Handke am Grab Milosevic' gesagt? Bisher kenne ich nur einige Zitate, Kolportage. Ich habe
den Text der Rede vorerst vergeblich im Web gesucht.
Ich frage mich aber auch: Wie darf oder muß
man sich Milosevic vorstellen? Woher und von wem bekomme ich ein einigermaßen
verläßliches Bild dieses Mannes, der dem Ende des 20. Jahrhunderts Europas eine so
bitter Note aufgerdückt hat?
Das möchte ich in naher Zukunft aus
verschiedenen Quellen erfahren können. Dazu wünsche ich mir von Autoren etwas mehr
Konzentration als sie momentan möglich scheint. Wenn etwa ein renommierter Journalist,
Hans Rauscher, Gelassenheit und Augenmaß verliert, Milosevic mit Stalin und Mao
gleichsetzt. (Quelle: "Der Standard")
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Das hieße
mindestens, Mao und Stalin erheblich zu verkleinern. (Und Hitler zu vernachlässigen.)
Dieses Entweder-Oder, wie es Rauscher hier vorführt, ist genau die Simplifizierung, gegen
die Handke seit geraumer Zeit anschreibt. Ich habe
von Handke nie gelesen, er würde Milosevic verehren. Er scheint sich mit ihm befreundet
zu haben. Was vordergründig nach Haarspalterei klingen mag, handelt doch von völlig
unterschiedlichen Kategorien. Die sprachlich zu differenzieren ein Journalist befähigt
sein sollte. Man könnte sogar, etwas pointiert, behaupten, Freundschaft sei geradezu das
Gegenteil von Verehrung.
Darf ich also festhalten, daß Freundschaft mit Tätern
unanfechtbar ist? Während man gegen öffentliche Verehrung oder Verherrlichung
einschreiten müßte.
Übrigens! Ich wüßte ja zu gerne, woher Rauscher weiß,
daß Milosevic "jämmerlich banal" sei. Aus welchen Quellen oder gar
persönlichen Ansichten entnimmt man solche Befunde? |
[Zu Peter Handke]
Cut!
Ich hab unlängst den Film "Blow"
gesehen. Johhny Depp spielt den vormaligen Drogenbaron George Jung, der einst mit dem
Kolumbianer Pablo Escobar (aus Medellin) das Kokain-Geschäft in den USA aufgezogen hat.
Hier sieht man Regisseur Ted Demme bei einem
Besuch Jungs im Gefängnis. Schon die wenigen Stichworte deuten an, daß Jungs Leben kein
Anlaß zur Verklärung dieses Mannes sein kann.
Aber jenseits dieser Fakten scheint Demme in
seinem Interesse an der Person sehr persönliche, sehr private Zugänge gefunden zu haben,
die andeuten: Diese zwei Männer sind Freunde geworden. Aus welcher Art von Nähe schöpft
man Kenntnis darüber, was in Tätern vorging?
Der Philosoph Günther Anders hat
versucht, sich mit dem Sohn von Adolf Eichmann zu verständigen. Der verweigerte sich
einem Kontakt. Mit dem Piloten Claude Eatherly hatte Anders dagegen eine intensive
Verbindung gefunden, wovon das bewegende Buch "Hiroshima ist überall" erzählt.
Das Vorwort zu Anders' Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten Eatherly stammt von Bertrand
Russel.
Ich möchte darauf bestehen, daß mir Täter,
Akteure der Greuel, aus der nahen Anschauung geschildert werden. Von versierten Leuten der
Literatur, Philosophie, des Filmes ... Was ja ohne Brührung so nicht zu machen ist.
Wozu schon vor über zweieinhalb Jahrtausenden
die Griechische Tragödie anregte: Die Täter und die Opfer sollen erzählen, was gewesen
ist. Im Stück selbst findet kein Tribunal statt. (Dafür haben wir schließlich gut
ausgestattete Institutionen.)
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